Von schlafenden Katzen und Hunden

Scharf aus der Realität gestochene Erzählungen: Silke Scheuermann liest im Literaturzentrum aus „Reiche Mädchen“

„Jahrelang habe ich versucht, wie eine Katze zu leben, ich pflegte mich, meine Hände, meine Haare, machte Gymnastik, ich schlief viel und trank Milch für den Teint. Aber man beginnt nicht, sein Leben zu lieben, nur weil man seinen Körper gut behandelt.“ Die Ich-Erzählerin aus der Geschichte „Die Übergabe“ ist nicht die Einzige, der es schwer fällt, ihrer Existenz etwas Gutes abzugewinnen: Sieben Erzählungen hat die als Lyrikerin bekannt gewordene Autorin Silke Scheuermann in ihrem Prosadebüt Reiche Mädchen versammelt, das sie jetzt im Literaturzentrum vorstellen wird. Und ihre meist weiblichen Figuren um die 30 betrachten seltsam starr, zwischen Langeweile, Desillusionierung und diffuser Sehnsucht aufgespannt, wie ihnen ein Leben passiert, das mit ihren Vorstellungen nicht übereinstimmen mag.

Doch wie sehen diese Vorstellungen aus? Welche Wünsche treiben die Frauen um? Oft haben sie einen interessanten Beruf, doch der bedeutet ihnen nichts. Sie leben in einer „funktionierenden“ Beziehung, die sie langweilt. Daraus auszubrechen könnte ein Impuls sein. Bei Franziska in „Krieg oder Frieden“ mündet er in einer aussichtslosen Affäre; bei der Ich-Erzählerin in „Die Übergabe“ ist das Ziel eines Ausstiegs aus der Wiederholung dann doch nur die Autobahnbrücke – auch wenn sie nicht springen wird.

Beklemmend ist der Mangel an Eigenem – sind die eigenen Phantasien und Wünsche schon abhanden gekommen? Oder war es schon immer notwendig, sich wie Natalie in „Vampire“ das Leben der anderen, insbesondere das des jeweiligen Mannes an ihrer Seite, einzuverleiben?

Man mag hier eine Abwehr verspüren gegen diese Fortschreibung weiblicher Inexistenz. Doch die 1973 geborene Autorin ist eine genaue Beobachterin ihrer Altersgenossinnen: Die Aufwertung durch „ihn“; das unscharfe Verlangen nach einer „erfüllenden“ Liebe, das dann doch allzu leicht in der Einrichtung im Bequemen einschläft und nur noch anfallartig die latente Unzufriedenheit aufstört – das sind keine Muster, nach denen man lange suchen muss.

Scheuermann wirft einen kühlen und nüchternen Blick auf diese Normalitäten. Oftmals wird Sympathie für ihre Figuren spürbar, vor allem, wenn ins Gleichmaß doch ein Moment entblößender Unsicherheit einfährt. So in „Lisa und der himmlische Körper“, in dem sich Lisa mit ihrem Wunsch nach einer intensiven Beziehung unversehens als ein in Latex gestopftes Fetischobjekt im Spiegel erblickt.

Die Geschichten sind dort stark, wo sie das Auseinanderdriften der Geschlechter nicht als individuelles Paarproblem erscheinen lassen. Wo die Autorin Sexualität als einen Ort ausweist, an dem Wunsch und Wirklichkeit oft am weitesten voneinander entfernt liegen; vor dem Macht, Ohnmacht und Sprachlosigkeit natürlich nicht Halt machen. Und Scheuermann überzeugt, wenn sie sprachlich genau und bis ins Detail unbarmherzig den Verstörungen nachgeht. Das gelingt ihr nicht immer. Und dann geschieht, was tunlichst zu vermeiden ist: die erzählte Selbstentfremdung und die Leere geraten in der literarischen Darstellung zur bloßen Verdoppelung. Carola Ebeling

Silke Scheuermann: Reiche Mädchen. Frankfurt a. M. 2005, 163 S., 17,90 Euro.Lesung: Do, 24.3., 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38