: Warten auf die milde Gabe
Mit Hartz IV ist in den Frauenhäusern der Papierkrieg ausgebrochen: Zur privaten Katastrophe gesellt sich oft ein zermürbender Kampf mit Ämtern. Deswegen sind die Frauen auf Spenden angewiesen
von SILKE KETTELHAKE
Einen Notschrank hat jedes Frauenhaus. Hier lagern haltbare Lebensmittel, nur das Billigste. Wenn eine Frau vor ihrem Mann flieht, dann sind Lebensmittel das Letzte, woran sie denkt. Bedächtig zerschneidet Maral (Name geändert), 23, gebürtige Iranerin und seit vier Monaten in einem Berliner Frauenhaus, einen Apfel. Jeden Dienstag und Donnerstag freut sie sich, wenn die Berliner Tafel e. V. mit Obst und Gemüse ins Frauenhaus kommt. „Auf die Lieferungen sind wir seit Anfang vergangenen Jahres angewiesen. So gibt es wenigstens etwas Frisches“, sagt Pari Teimoori, Koordinatorin im Frauenhaus. Das sei ein kleiner Trost. Denn „frische Lebensmittel können wir nicht geben“.
Geld hat Maral nicht. Ihr Leben und ihre Heimatstadt Hamburg, in der sie seit 20 Jahren lebte, hat sie fluchtartig verlassen. Die junge Frau hat zwei Paar Schuhe, zwei Hosen, vier Pullover und Unterwäsche, sonst nichts. Ihr Exfreund bedroht sie. Er sagt, sie hätte den Teufel in sich. Beinahe hätte sie selbst geglaubt, dass sie deshalb sterben muss. Heute beginnt sie zu verstehen, dass sie keine Schuld hat, und dass ihr Ex krank ist vor Eifersucht.
Doch Maral kämpft nicht nur mit der Vergangenheit. Auch die Gegenwart ist nicht einfach zu verstehen. Fast jeden Tag macht sie sich auf zum Job Center, stellt sich in die lange Schlange. Ihren Vater in Hamburg kann sie nicht um Hilfe bitten. Vor Jahren hatte er gesagt, dass sie nicht mehr seine Tochter sei. „Und meine Mutter hat einen neuen Freund. Die hat auch keinen Platz und kein Geld.“ Wie es weitergehen soll? Maral weiß es nicht. Zurück nach Hamburg will sie auf keinen Fall. Aber: „Ich habe nur eine Aufenthaltsbefugnis, die ich alle zwei Jahre verlängern muss. Ich habe Residenzpflicht in Hamburg.“ Manchmal fängt sie einfach an zu weinen und kann nicht mehr aufhören.
„Letztes Jahr noch gingen die Frauen mit einem Schreiben vom Frauenhaus zum Sozialamt und bekamen schnell Hilfe“, sagt Pari Teimoori. Jetzt, mit Hartz IV, „befinden sich viele Frauen im Papierkrieg. Bis zur Klärung sind wir das Auffangbecken.“ Teimoori meint, es sei wichtig, die Behörden auf die speziellen Bedürfnisse dieser Frauen aufmerksam zu machen. Denn die finanzielle Hilfe für die Frauen werde nach der „Bedarfsgemeinschaft“ errechnet – obwohl selbst das Familienministerium dafür plädiere, diese Grundlage zu ändern. „Es darf nicht das Familieneinkommen herangezogen werden“, fordert die Koordinatorin. Denn in vielen Fällen hatte das Paar zwar ein gemeinsames Konto, nur habe der Mann nicht selten das gesamte Geld abgehoben.
Bei der „Berliner Interventionszentrale bei häuslicher Gewalt (BIG)“ tragen Mitarbeiterinnen verschiedener Frauenprojekte Hartz-IV-Problemfälle zusammen: Flüchtet eine Frau etwa in ein Frauenhaus eines anderen Bezirkes, gerät sie in die Mühlen der Bürokratie: Hier abmelden, dort anmelden. Patricia Schneider, Sprecherin der Zentrale: „Es kann nicht sein, dass unsere Mitarbeiterinnen mit den Frauen mehrere Stunden täglich auf den Ämtern verbringen müssen. Oft genug müssen allein drei oder vier Stellen durchlaufen werden, bis überhaupt die Zuständigkeiten geklärt sind.“ Infos würden zwischen den Job Centern nicht weitergereicht, häufig seien die Bescheide undurchsichtig oder falsch berechnet. „Früher gab es das Sozialamt mit den zuständigen Sachbearbeitern. Jetzt wissen wir oft nicht, wer Ansprechpartner ist“, sagt Schneider.
Maral hat, nach vielen Wochen Suche, zum ersten April eine eigene Wohnung gefunden. Ihre Hamburger Residenzpflicht wurde aufgehoben. Als das alles klar war, stellte sie sofort einen Antrag auf Möbelfinanzierung. „Denn bis der durch die Prüfdienste abgenommen ist, da vergehen sechs bis acht Wochen“, weiß Patricia Schneider aus Erfahrung. Maral will keiner anderen Frau im Frauenhaus den Platz wegnehmen. Sie will sich einfach nur ein neues Leben aufbauen.