Träume - ins Wasser gesetzt

Die Architekten Volkwin Marg und Rolf Kellner hatten sich die Hafencity anders vorgestellt - rauher und ursprünglicher

VON Dirk Plamböck

Bevor in der Hafencity das erste Gebäude stand, hatten Architekten und Stadtplaner das Gelände in Beschlag genommen. In ihren Köpfen und auf ihren Computern entstanden ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Stadt der Zukunft. Die wenigsten ließen sich später umsetzen.

Der 35-jährige Hamburger Rolf Kellner gehört zu denjenigen, die sich nicht nur ihre Gedanken machten. Er wird in der Hafencity bauen. Für das Baufeld Zehn auf dem Kaiserkai im Schatten der Elbphilharmonie entwirft er zusammen mit seinen Kollegen aus dem gemeinsamen Büro überNormalNull ein Wohnhaus. Dies ist auch für ihn eine überraschende Entwicklung, denn lange Zeit sah es nicht so aus, als ob es in der Hafencity Platz für seine Ideen gäbe.

Seit Jahren erkundet Kellner das Hafengelände. Zusammen mit Kollegen erstellte er ein „KulturGutAchten“ für den Senat, das jedes Gebäude im ehemaligen Freihafen erfasste. Die Industrie hatte sich in weiten Teilen aus dem Areal zurückgezogen. Die Häuser standen leer. Die drei Architekten schlugen eine alternative kulturelle Nutzung vor. Aus Schuppen sollten bis zum Baubeginn Ateliers, Proberäume oder Galerien werden. Wie Pionierpflanzen sollten die Künstler das Freihafengelände erschließen und mit ihren Aktionen Besucher anlocken.

„Kunst und Kultur stehen am Anfang einer Planung“, sagt Kellner. „So kann eine Stadt, die neu entsteht, begreifbar gemacht werden. Eine lebendige Stadt kann nur entworfen werden, wenn die Menschen einbezogen sind.“

Als im Mai 2001 die Studie fertig war, verschwanden ihre Pläne für eine „kulturelle Sukzession“ in der Schublade der Behörde. Schon zuvor hatte die HafenCity GmbH mit dem Abriss von Gebäude Fakten geschaffen. Sie wollte sogar eine zeitweilige Umnutzung der leer stehenden Schuppen und der Freiflächen nicht zulassen. In ihrem Konzept sollte erst gebaut werden, die Kultur käme dann von ganz allein.

Der Architekt Volkwin Marg verfolgt seit Jahren die Entwicklung am Elberand. Den 70-jährigen gebürtigen Königsberger fasziniert an der Hamburger Baugeschichte die Nähe von Architektur und Wasser. Für ihn ist die Speicherstadt ein herausragendes Beispiel für diese Bauweise. Hier verbindet sich architektonische Schönheit und Funktionalität zu einer beeindruckenden Einheit.

Das in der Welt einmalige Backsteinensemble gehörte zum alten Freihafen. In der Speicherstadt wurden bis in die 70er Jahre die im Hafen umgeschlagenen Waren gelagert. Heute teilen sich mehrere Museen und die seit Jahrzehnten ansässigen Teppichhändler die Lagerflächen.

Die auf Eichenstämmen stehenden Gebäude scheinen vor 100 Jahren im Wasser gebaut zu sein. Dies erleichterte die Anlieferung der Waren direkt von den kleinen Transportschiffen mit hydraulischen Kränen in die Speicher. Für Marg sind sie der Inbegriff des amphibischen Bauens, da sie sich funktionell und baulich mit der Bewegung der Gezeiten verbinden. „Die drei Flussläufe Alster, Bille und Elbe prägen für mich ganz entscheidend das Stadtbild. Um die Qualität des Wechsels zwischen Wasser und Bauwerken ging es mir in meinen Entwürfen.“

Lange vor den ersten Plänen für die Hafencity protestierte Marg gegen das Vorhaben, die alten Hafenbecken im Freihafen zuzuschütten. Heute machen sie das Besondere der Hafencity aus. Die Grundstücke an ihren Kais sind Sahnestückchen. Doch mit der Bebauung am Sandtorkai in unmittelbarer Nachbarschaft zur Speicherstadt ist er nicht einverstanden. „Die einzelnen neuen Häuser sind architektonisch einwandfrei und vielgestaltig. Aber die gemeinsame Positionierung auf einem erhöhten Sockel ist eine Barriere. Der gesamte Sockelbau steht wie eine Berliner Mauer zwischen dem Sandtorhafen und Speicherstadt.“

Seit der verheerenden Sturmflut 1962 schreibt die Hamburger Bauordnung einen Hochwasserschutz für Wohnhäuser vor. In der Hafencity entschied man sich daher, den Baugrund mit einem Betonsockel zu erhöhen, der als Tiefgarage genutzt wird.

Marg löste in seiner Studie das Problem anders: Sie sah an dieser Stelle eine aufgelockerte Bebauung mit Bürobauten vor. Da Büros nicht rund um die Uhr genutzt werden, gelten für sie weniger strikte Vorschriften. Wie auch in der Speicherstadt wird bei ihnen in Kauf genommen, dass bei Sturmfluten die Unter- und Erdgeschosse voll laufen können. Ein Sockel, der den Blick vom Wasser auf die historische Gebäudefront verstellt, wäre so nicht notwendig gewesen. Aber den Wettbewerb für den Masterplan gewannen andere.

Während Marg daher das Fortschreiten der Bauarbeiten nur noch beobachten kann, verwirklicht Kellner seine Vorstellungen im Kleinen. Zusammen mit den zukünftigen Bewohnern entwickelt er das Haus am Kaiserkai. In ihm wird die Kunst in einer Galerie oder als Installation ihren Platz finden. In diesem Jahr wird mit dem Bau begonnen.