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Archiv-Artikel

Bumerang für die Konservativen

Auch die zweite US-Bundesinstanz lehnt die Wiedereinsetzung der Magensonde für Terri Schiavo ab. Jetzt geht der Fall, umrahmt von politischen Kampagnen, zum Obersten Gerichtshof. Doch es scheint, dass sich die Republikaner verrannt haben

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Ein Berufungsgericht in Atlanta hat erwartungsgemäß entschieden, dass die Wachkomapatientin Terri Schiavo nicht wieder künstlich ernährt werden soll. Die Richter lehnten am Mittwochnacht den Eilantrag von Schiavos Eltern ab, die gefordert hatten, die am Freitag auf Wunsch des Ehemannes der Patientin entfernte Magensonde wieder einzusetzen. Nun bleibt den Eltern der 41-jährigen Frau, die seit 1990 im Koma liegt, nur noch übrig, die höchste Instanz, den Obersten Gerichtshof in Washington, anzurufen.

Damit landet der Fall, der seit Tagen die Gemüter in den USA erhitzt, vor jenem Gremium, das Anträge der Eltern bereits zweimal zurückwies und in den 90er-Jahren Urteile fällte, die ihnen kaum eine Chance auf Erfolg einräumen. Die hektische und dramatisch inszenierte Intervention durch die Republikaner im Kongress und Präsident Bush, die in einem Einzelfallgesetz den Eltern erlaubten, sich über bisherige Gerichtsentscheidungen hinwegzusetzen, dürfte somit wirkungslos bleiben. Es sei „sehr, sehr unwahrscheinlich“, meint Alan Meisel, Fachmann für Bioethik und Gesundheitsrecht an der Universität Pittsburgh, dass die Verfassungshüter in Bushs Sinne entscheiden.

Das Spektakel der Konservativen war von Anfang an zum Scheitern vor den Gerichten verurteilt, sagen Rechtsexperten. Bereits das verabschiedete Gesetz kollidierte mit dem Begehren der Eltern. Diese beantragten eine Unterlassungsklage mit dem Argument, das Bezirksgericht, das die Unterbrechung der künstlichen Ernähung erlaubte, verletze die von der Verfassung garantierten Rechte ihrer Tochter auf einen fairen Prozess. Dies solle ein Bundesgericht feststellen. Doch dieser Antrag widersprach dem Eilgesetz der Republikaner. Dieses sieht vor, den Fall völlig neu aufzurollen, und ignoriert eine Vielzahl von vorangegangenen Urteilen.

Überdies entschied der Oberste Gerichtshof 1990, dass eine Person in einem dauerhaft vegetativen Stadium das Recht hat, nicht mehr künstlich ernährt zu werden. Sieben Jahre später bestätigte Chefrichter William Rehnquist das Recht einer Person, eine ungewollte lebenserhaltende medizinische Versorgung abzulehnen.

Es scheint also, dass die Republikaner sich vergaloppiert haben. Verfassungsrechtlich, aber auch politisch. Längst sind die medizinischen und ethischen Fragen im Fall Schiavo entschieden. Bush und seine Parteifreunde stellen ihn zwar als Teil einer größeren ethischen Auseinandersetzung um die Definition dar, wann Leben endet. Doch nach Ansicht von Fachleuten ist dies das falsche Beispiel dafür. Die gehirngeschädigte Frau werde niemals wieder ihr Bewusstsein zurückgewinnen, sagt Robert Veatch, Professor am Institute for Ethics der Georgetown University. „Sie kann keinen Schmerz empfinden, nicht hungern oder durstig sein. Jeder, der diese Worte benutzt, hat keine Ahnung von ihrer Situation.“

Die Manipulationen und der eifernde Einsatz der Republikaner, die immer wieder gezeigten Videoaufnahmen von Schiavo, die suggerieren, dass sie bei Bewusstsein sei und die von Ärzten als „verantwortungslos und irreführend“ bezeichnet werden, all die hochgeputschten Emotionen, die „Pro Life“-Gruppen und die christliche Rechte zufrieden stellen sollten, haben sich offenbar als Bumerang erwiesen. Jüngste Umfragen belegen: Eine deutliche Mehrheit der US-Amerikaner lehnt einen bundesstaatlichen Eingriff ab. 63 Prozent der Bevölkerung befürworten im konkreten Fall das Ende der künstlichen Ernährung. Und eine Mehrheit meint ebenso, dass der Kongress seine Befugnisse überschritten habe.

Dies ist eine Steilvorlage für die Opposition, möchte man meinen. Doch die Demokraten sind uneins, wie sie auf das emotionale Thema Sterbehilfe reagieren sollen. Zwar sind sie sich der günstigen Stimmung in der Bevölkerung bewusst. Sie fürchten jedoch die Schlagkraft einer extrem mobilisierten konservativen Minderheit. Die Erfahrungen der Diskussionen um Homoehe, Abtreibung und Schusswaffenkontrolle scheinen den Demokraten eine fast traumatische Angst einzujagen, bei „Werte“-Debatten derzeit nur verlieren zu können. egal, was die Umfragen auch sagen.

Immerhin: Wenn die Verfassungshüter in Washington den Antrag von Schiavos Eltern schließlich abgewiesen haben werden, ist zumindest ein weiterer Versuch der Bush-Regierung gescheitert, sich über unliebsame Gerichtsurteile hinwegzusetzen.