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Archiv-Artikel

Mit Puschkin für Putin

Das postsowjetische Reich Russlands zerfällt. Daher hat der Kreml nun ein Büro für interregionale und kulturelle Beziehungen gegründet

MOSKAU taz ■ Die Regime in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion purzeln. Zuerst kippte 2003 Georgien, ein Jahr darauf folgte die Ukraine, und nun hat sich auch noch das kleine Kirgisien seines Potentaten Askar Akajew entledigt. Womit eigentlich kaum ein Beobachter gerechnet hat. denn bislang erweckten gerade die Autokraten in den zentralasiatischen Staaten den Eindruck, als könnte ihnen kaum jemand etwas anhaben. Schon gar nicht die Bürger, der in der ärmlichen Region andere Sorgen haben, als sich am Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen zu beteiligen.

Die Hintergründe und Perspektiven der Proteste im europäischen Teil der GUS unterscheiden sich von denen im asiatischen erheblich. Dennoch haben sie etwas gemeinsam. Der Zorn der Bürger richtet sich gegen die alte Elite, die sich seit der Sowjetzeit an der Macht halten und auf tatkräftige Unterstützung aus Moskau setzen konnte.

Während in der Ukraine und Georgien der Westen noch als Leitbild dient, sind in Kirgisien islamisch-fundamentalistische Vorstellungen ebenso denkbar wie nationalistisch-chauvinistische Strömungen. Demokratie wird oft mit Korruption gleichgesetzt. In Kirgisien ist die Meinung weit verbreitet, nur eine religiös verankerte Regierungsform könnte dem wirksam gegensteuern.

Nach dem Debakel in der Ukraine, wo Moskau auf den falschen Kandidaten setzte, schwieg Wladimir Putin bisher zu den Ereignissen in Kirgisien. Gestern bot er dem geflohenen Präsidenten Askar Akajew dann politisches Asyl an. Akajew wäre nicht der erste autokratische Herrscher aus dem postsowjetischen Raum, der in der gelenkten Demokratie Russlands Schutz vor dem eigenen Volk suchte.

Die Politik des Kreml im Umgang mit den GUS-Staaten, die Wladimir Putin bei Amtsantritt vor fünf Jahren noch zur Priorität der künftigen Außenpolitik erklärt hatte, droht jetzt zu scheitern. Statt den Einfluss zu verstärken, hat Moskau eine Position nach der anderen räumen müssen. Die neoimperiale Rhetorik des Kreml hat nichts mehr mit der geopolitischen Wirklichkeit gemein. Längerfristig könnte dies auch das Regime Putin vor Legitimationsprobleme stellen. Zunehmend gerät der Kremlchef in den Ruf, nur noch Verwalter des Zerfalls zu sein.

Durch den Zerfall der GUS ist Moskau alarmiert. Bald könnte Russland nur noch auf Alliierte in den sezessionistischen Republiken Transnistrien (Moldawien), Abchasien (Georgien) und Berg-Karabach, dem Streitobjekt zwischen Aserbaidschan und Armenien, zählen.

Der sich fast nur aus Kadern der Sicherheitsstrukturen rekrutierenden politischen Elite fehlen indes Ideen, wie sich Moskaus Bedeutungsverlust abfangen ließe. Klar ist: Das neue Führungspersonal in den GUS-Staaten empfindet hat keine nostalgischen Gefühle mehr für die versunkene Sowjetunion.

Dass der Kreml die architektonischen Verwerfungen spürt, unterstrich die Präsidialverwaltung letzte Woche mit der Gründung einer „Abteilung für interregionale und kulturelle Beziehungen mit dem Ausland und der GUS“ im Kreml. Das Department soll Russisch, Russlands Kultur und Bildung im Ausland attraktiv machen. „Russland muss seine Interessen im postsowjetischen Raum verteidigen“, sagte Modest Kolerow, Chef der neuen Abteilung. Kolerow hatte den glücklosen ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Janukowitsch beraten, gehört aber nicht zum engeren Kreis der Entscheidungsträger im Kreml. Sein Einfluss dürfte marginal bleiben, und ob die sanfte Variante in den GUS-Staaten noch verfängt, ist fraglich. Puschkin, Dostojewski und die russische Sprache hatte der Kolonialherr immer schon im Gepäck, um die unterworfenen Völker von der Überlegenheit Russlands zu überzeugen.

KLAUS-HELGE DONATH