: Weiße Kutsche mit Pferden
„Wenn der Schnee fällt“: Manfred Dübelt und Peter Kehrer haben Traum- und Wunschtexte von 23 Insassinnen des Frauengefängnisses Hahnöfersand herausgegeben. Und haben jede reißerische Aufmachung konsequent vermieden
von Christine Schams
„Wie gerne würde ich einmal im frisch gefallenen Schnee Spuren machen ...“ Ein Wunsch, der sich für Nicole auch in diesem Winter nicht erfüllte. Eisengitter, eine schwere Zellentür und meterhohe Mauern trennen sie von der Freiheit: Sie ist Strafgefangene im Hamburger Frauengefängnis auf der Elbinsel Hahnöfersand.
Manfred Dübelt, freier Künstler und gelernter Krankenpfleger, arbeitet seit 23 Jahren im Strafvollzug. Er kennt Nicole, und ihr Wunsch ließ ihm keine Ruhe. Gemeinsam mit Peter Kehrer hat er daraufhin die Idee entwickelt, die Träume und Wünsche der Frauen aus Hahnöfersand zu porträtieren. Dübelt bat sie, ihre Träume aufzuschreiben, er selbst fertigte nach Fotografien Porträts der Frauen an, Peter Kehrer verfasste begleitende Texte über das Leben und den Alltag im Gefängnis.
23 Frauen schlossen sich dem Projekt an – weitaus mehr, als Dübelt und Kehrer erwartet hatten, und so haben die Autoren das Projekt inzwischen zu einer Buchveröffentlichung entwickelt: „Wenn der Schnee fällt ... Träume von Frauen aus dem Strafvollzug“ heißt es; der Titel ist einem Zitat von Nicole entnommen: „Er drückt am treffendsten die Wünsche der Frauen aus, die weniger materiell, sondern fast schon infantil sind. Gerade das aber macht uns Außenstehende darauf aufmerksam, wie gut es uns eigentlich geht“, sagt Dübelt.
„Ich träume mich sehr oft ins Fernsehen hinein, z.B. wenn ich einen schönen, romantischen Liebesfilm sehe“, schreibt Manuela. Und Verena träumt davon, „eine Familie zu gründen, Kinder zu haben und einfach ein glückliches Leben zu führen“. Nicole-Britta wiederum hat sich schon als kleines Kind „eine weiße Hochzeit, eine weiße Kutsche und natürlich weiße Pferde“ gewünscht. Andere haben Träume von einer gerechten Welt, einem Ende von Krieg, Gewalt und Hunger formuliert.
Eine weitere Lesart des Buchtitels trägt der Geschichte der meisten Frauen im Gefängnis Rechnung: Schnee kann auch als Metapher für Kokain begriffen werden. Denn rund 90 Prozent der Insassinnen sind drogenabhängig, und fast alle der 23 porträtierten Frauen wünschen sich, endlich clean zu sein. So wie Nicole: „Ich wünschte, ich könnte ein normales Leben führen ohne Drogen. Aber mein ganzes Leben lang habe ich Drogen genommen, ich kenne das Leben ohne Drogen nicht.“
Neben den Porträts sind in dem Buch die handschriftlichen Briefe der Frauen abgedruckt. Unkorrigiert und unredigiert, mit Rechtschreibfehlern und stilistischen Mängeln: „Wir haben nach langer Diskussion bewusst auf Korrekturen verzichtet, denn es handelt sich um Briefe, da sind Korrekturen lieblos. Übrig blieben sonst nur Fragmente. Zudem ist der Inhalt der Texte wichtig, nicht die Form“, betont Dübelt. Und wer hier Rechtschreibfehler kritisiere, den erreiche dieses Buch ohnehin nicht: Als Gegenpol zur oft reißerischen Berichterstattung über inhaftierte Frauen, die sich nur auf die Biographien der Inhaftierten konzentriert, wollen Dübelt und Kehrer ihr Projekt verstanden wissen. „Leise“ nennt Kehrer diesen Weg.
Nichts zu lesen ist in dem Buch deshalb über die Biographien der Frauen, ihre Nachnamen wurden geschwärzt, obgleich sich etliche schriftlich bereit erklärten, mit vollem Namen genannt zu werden. „Sie sind sich bewusst, dass sie mit der Veröffentlichung ihre Anonymität aufgeben, aber sie stehen hinter dem Projekt“, berichtet Dübelt. „Zugleich stehen sie stellvertretend für alle Menschen im Strafvollzug. Da spielt der Name keine Rolle.“
Manfred Dübelt / Peter Kehrer: „Wenn der Schnee fällt ...“, Norderstedt, 2004, 20 Euro. Das Buch ist zu bestellen unter www.duebelt.de. oder im Buchhandel unter ISBN 3-8334-1444-8. Ein Euro pro verkauften Buch geht an die Frauen in Hahnöfersand.