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Archiv-Artikel

kabinenpredigt Jugend trainiert

Sohnemann hatte einfach keine Lust. Die Eltern waren schockiert. Sie hatten den Kleinen auch deshalb im Schwimmverein angemeldet, weil sie wussten, dass die Übungsgruppen regelmäßig ins Trainingslager fahren. „Das gehört dazu zum Sportverein“, sagte Papa streng, „da fährst du mit, das macht Spaß, und basta!“

Sohnemann war acht Jahre alt und hatte noch nie allein auswärts übernachtet. Jetzt hatte er Angst vor dem großen Heimweh. Doch seine Eltern hatten sich schon verabredet. Sie wollten einfach wieder einmal zusammen allein sein, mal so ganz ohne Kind. Sie wollten es einmal wieder richtig krachen lassen. Natürlich machten sie sich Gedanken. Heimweh kann ziemlich schlimm sein. „Das ist doch heutzutage kein Problem mehr“, sagte Papa und besorgte ein Handy für Sohnemann.

Ziemlich verkatert stiegen die Eltern am Sonntagnachmittag ins Auto, um Sohnemann in der ehemaligen DDR-Eliteschmiede Kienbaum abzuholen. Der Trainer hielt zur Verabschiedung noch eine Rede. Die Eltern erfuhren, dass die Kleinen jeden Tag um halb sechs geweckt wurden, dass sie vor dem Frühstück anderthalb Stunden geschwommen sind, dass sie danach mehrere Runden auf der Tartanbahn gelaufen sind, dass sie nach dem Mittagessen wieder stundenlang in der Schwimmhalle trainiert haben. Zur Entspannung durften die Kinder zwischendurch Hockey spielen. Kein Wunder, dass Sohnemann noch schwärzere Ringe um die Augen hatte als seine Eltern.

Dann schimpfte der Trainer noch auf die Jugend von heute im Allgemeinen. Er sehe es als seine Aufgabe, auch charakterlich an den jungen Menschen zu arbeiten. So sei es sein Ziel, die Kinder so zu formen, dass sie endlich ihre Sporttasche richtig packen können.

Die Eltern packten Sohnemann und Sporttasche ins Auto. Nach einer halben Stunde Fahrt fragte Papa: „Hat es denn trotzdem Spaß gemacht?“ – „Ja“, antwortete Sohnemann, während er hochkonzentriert die Tastatur seines Handys bearbeitete, „ich habe bei Stack Attack 890 Punkte.“ – „Na wenigstens hat er kein Heimweh gehabt“, sagte Papa.

ANDREAS RÜTTENAUER