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Archiv-Artikel

Läuterungen und Seitenwechsel

betr.: „Auf dem Trip namens Revolution“ von Arno Widmann, taz vom 22. 3. 05

Es ist sicher nicht zu früh, die Erfahrung der 68er Generation aufzuarbeiten, auch im Rahmen einer Artikelserie in der taz. Ein Pluralismus in der Auswahl der Autoren und Meinungen ist ebenfalls wünschenswert und richtig. Aber: Schreiben demnächst vielleicht auch Klaus Rainer Röhl und Horst Mahler?

Diese Frage stellt sich mir unwillkürlich, wenn ich Widmanns Artikel lese. Widmann zitiert einen SA-Mann, der sich gegen den Vergleich mit Dutschke und Co. wehrt und sich als Teil eines Aufstands der Anständigen glorifiziert. Das geschieht ohne Kommentar Widmanns. Ich kann als Leser also davon ausgehen, dass Widmann die Meinung des Volksgenossen teilt? Auch ansonsten scheint mir Widmann, um mal ein Wort der 20er-Jahre zu gebrauchen, ein waschechter Reaktionär, der es Dutschke zum Vorwurf (!) machen kann, dass er das System beseitigen wollte. Auch seinem Oben-unten-Schema mag er, oben angekommen, nichts abgewinnen.

Zu guter Letzt scheint er aber doch an Revolutionen zu glauben. Diese hätten aber in Wahrheit nichts mit der Gesellschaft zu tun, sondern würden sich mit Mikrochips und Walgehirnen befassen! Immerhin: Kompliment für seine Aufrichtigkeit! Aber in Zukunft wünsche ich mir keine Widmann’schen Läuterungen und Seitenwechsel in der taz! EDMOND JÄGER, Freiburg

Die Diskussion um die 68erInnen bringt nichts, wenn Repräsentanten entwickelt werden. Gerade die „repräsentative Demokratie“ ist doch mit ein Kern des Übels, wenn der Bürger durch die Wahl seine Selbstbestimmung, seine Macht aufgibt. Wenn ich nicht wähle, heißt das, niemand hat das Recht, in meinem Namen zu entscheiden, ich schaffe das Delegationsprinzip ab. Für 2006 sollte das heißen: Niemand geht zur Wahl, gibt seine Verantwortung ab, überall bilden sich BürgerInnenparlamente … Sie sehen, Herr Widmann, ich gehe 2.500 Jahr zurück, zur direkten Demokratie.

PETER STAIMMER, Berlin

Ich stimme Arno Widmann in seiner Schilderung der Irrläufer der Linken durchaus zu. Was er aber nicht schreibt: dass aus dem, was ich „revolutionären Überschuss“ der 68er nennen möchte, dialektisch (und ungewollt) die überfällige Erneuerung von (bürgerlicher) Gesellschaft und (kapitalistischer) Ökonomie resultierte, welche die verkrusteten (nazigeschulten) Eliten nicht hinbekommen hätten.

Interessanterweise sind wir genau wieder in einer (historischen) Situation, in der die Funktionseliten grandios versagen (und deshalb die Schuld am „Niedergang“ den „Unterschichten“ aufdrücken). Das Rezept, einfach nur unreflektiert radikal zu sein, wie große Teile der 68er, ist aber – man muss ja sagen: zum Glück – nicht reproduzierbar. Vielmehr sollten wir in der Lage sein, den tragischen Lernprozess der Neuen Linken seit Ende der Sechzigerjahre zu reflektieren. Dabei ist natürlich die späte Konsequenz der 68er, die rot-grüne Bundesregierung, nicht das Ende der Geschichte. Dann hätten ja Spiegel und andere Medien oder auch Jan Feddersen in der taz Recht, die das Ende von Rot-Grün einläuten (wollen).

Um auf Rudi Dutschke zurückzukommen: Eine statische Wahrnehmung seiner Äußerungen verbietet sich sowohl für die linksergrauten Bejubeler der „Ikone“ Dutschke als auch für die reaktionären Geschichtsklitterer, die nationale gesellschaftliche und das internationale (Kriegsführungs-)Umfeld der 68er-„Revolte“ verleugnen. Richtig ist dagegen die Analyse der nicht widerspruchsfreien politischen und ökonomischen Entwicklungen post 68, auch wenn sie ungewollte Folgen des gesellschaftlichen Aufbruches von 68ff. sein sollten.

Um das dann auch noch auf die Straßenumbenennung herunterzubrechen: Auch sie sollte nicht der „Ikone“ Rudi Dutschke dienen, sondern die dialektische Reflexion der politischen Geschichte der Linken – insbesondere in einem linksorientierten Bezirk – befördern (da können dann die Emanzipationserfolge und die weitergehenden Forderungen der Neuen Frauenbewegung sinnvoll eingeordnet werden). RÜDIGER BRANDT, Berlin-Kreuzberg

Ach herrjeh, mit Hilfe eines SA-Mannes meinte Arno Widmann eine Entdeckung gemacht zu haben, die ihm den Kragen platzen ließ. Hätte er mit dem Schreiben seines Artikels noch ein wenig gewartet und vorher (in der gleichen taz auf S. 12) den Artikel von Katrin Mohr und Erwin Riedmann – „Armut der Sozialdemokratie“ – gelesen, er hätte sich nicht so elendiglich mit seiner Begeisterung für Quarks, Hirnströme etc. anstelle der Politik blamieren müssen.

WOLFGANG HILLE, Berlin