: Russisches Gericht enttäuscht religiöse Eiferer
Statt drei Jahre Straflager erhalten die Organisatoren einer kirchenkritischen Kunstausstellung kleine Geldstrafen
MOSKAU taz ■ Verhuschte Gestalten drängeln sich im Treppenhaus des Taganka-Bezirksgerichts. Männer und Frauen tuscheln aufgeregt, jeder Neuankömmling wird inquisitorisch gemustert. Manche sind in Gebet versunken und bewegen stumm die Lippen zum Psalm. Wer für würdig befunden wird, darf eine Ikone küssen. Dieselbe dient indes auch als Schutzschild, die jedem vermeintlichen Antichristen wütend entgegengereckt wird.
Das war die Atmosphäre beim Strafprozess gegen die Mitarbeiter des Andrei-Sacharow-Museums, das im Januar 2003 eine Ausstellung mit Werken von 40 Künstlern zum Thema „Vorsicht, Religion“ eröffnet hatte. Der New Yorker Alexander Kosolapow etwa steuerte eine Darstellung Christi vor mit dem Titel „Coca Cola“ bei. Motto: „This is my blood“.
In der rudimentären Reflexionskultur Russlands war das ein Novum. Kurz nach der Eröffnung verwüsteten religiöse Eiferer die Ausstellung. Die Randalierer wurden festgenommen, gegen Kaution aber wieder freigelassen. Daraufhin schaltete sich der Metropolit der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill, ein: Die Ausstellung sei eine Provokation, „als Verbrechen einzustufen“. Es folgte ein Aufruf von Künstlern und Wissenschaftlern aus dem orthodox-nationalistischen Umfeld: Was da als Kunst daherkäme, sei eine „Beleidigung des Nationalheiligtums Orthodoxie, der russischen Nation, ja Russlands selbst“. In Flugblättern wurden Gläubige aufgefordert, die Künstler anzuzeigen.
Dreizehn Bände Anklagematerial kamen zusammen. Im Juni 2004 erhob die Staatsanwaltschaft Klage wegen „Schürens von Hass und Erniedrigung einer Gruppe auf Grundlage nationaler und religiöser Eigenheiten“. Aber nicht gegen die Künstler, sondern gegen die Veranstalter: Museumsdirektor Juri Samojedow, Kuratorin Ludmila Wassilewskaja, Künstlerin Anna Altschuk.
Drei Jahre Straflager und Berufsverbot forderte die Staatsanwaltschaft. Die inkriminierten Werke seien zu vernichten. Die Orthodoxie versuchte somit, für sich und die Träger ihres Glaubens eine Sonderstellung als Staatsreligion zu erwirken, die Russland nicht kennt.
Die Politik, ohne deren Zustimmung das Verfahren nicht denkbar gewesen wäre, verfolgte ein handfesteres Interesse: Das Sacharow-Museum als zivilgesellschaftliche Einrichtung, die Kritik übt und auch zum Tschetschenienkrieg nicht schweigt, sollte mundtot gemacht werden. Dazu ging man auch Allianzen ein: „Ein neuer Holocaust muss her“, meinte ein Eiferer zu einer „Judenfresse“ im Treppenhaus.
Gestern schließlich fiel das Urteil: Statt drei Jahre Straflager je 100.000 Rubel (2.770 Euro) Geldstrafe für Samojedow und Wassilewskaja; Freispruch für die Künsterin. Ein rarer Sieg für die russische Zivilgesellschaft.
KLAUS-HELGE DONATH