: Bundestag hat nur selten eine Meinung
EUROPAPOLITIK Parlamentsinterner Bericht zeigt, dass der Bundestag nur äußerst selten Stellungnahmen zu EU-Vorhaben abgibt. Die CSU will diese Positionen nun verbindlich machen. Die CDU ist dagegen
FREIBURG taz | Zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU ist ein handfester Streit entbrannt, wie viel Einfluss der Bundestag künftig auf die EU-Politik der Bundesregierung bekommen soll. Die CSU will, dass Stellungnahmen des Bundestags verbindlich sein sollen (taz berichtete). Die CDU warnt jedoch, dass dadurch die deutsche Handlungsfähigkeit im Ministerrat der EU beeinträchtigt werde.
Dass der Bundestag Stellungnahmen zu EU-Vorhaben abgeben kann, ist nicht neu. Im Grundgesetz ist dies schon seit 1993 vorgesehen. Die Bundesregierung muss diese Stellungnahmen bisher aber nur „berücksichtigen“. Ein interner Monitoring-Bericht der Parlaments-Verwaltung zeigt jedoch, dass der Bundestag bisher kaum von diesem Recht Gebrauch macht. Von September 2007 bis August 2008 hat das Parlament sich nur zu elf EU-Rechtssetzungsentwüfen per Stellungnahme positioniert. Dabei hatte das Parlament immerhin 205 EU-Entwürfe für Richtlinien, Verordnungen und andere Beschlüsse als „beratungsrelevant“ eingestuft. Der Bundestag hat auch kein einziges Mal versucht, seine Stellungnahmen dem aktuellen Verhandlungsstand anzupassen.
Laut Bericht hat die Bundesregierung die Stellungnahmen allerdings immer berücksichtigt. Vermutlich fiel ihr das auch nicht schwer, da sie über eine Mehrheit im Parlament verfügt und die Mehrheitsfraktionen in der Regel versuchen, ihrer Regierung den Rücken freizuhalten. Thomas Silberhorn, der europapolitische Sprecher der CSU, geht jedoch davon aus, dass der Bundestag aktiver und kritischer sein könnte, wenn seine Stellungnahmen zur EU-Politik verbindlich wären.
Als Negativbeispiel in Berlin wird immer wieder ein Fall genannt, bei dem die Bundesregierung die Position des Bundestags nicht ernst genommen habe. So war der Bundestag fraktionsübergreifend skeptisch, eine europäische Grundrechte-Agentur einzurichten, solange es noch nicht einmal einen ausformulierten europäischen Grundrechte-Katalog gibt. Dieser soll erst mit dem Lissabon-Vertrag eingeführt werden. Der Bundestag forderte deshalb, dass die Agentur jedenfalls möglichst wenig Personal und Geld erhalten soll.
Die Bundesregierung versicherte, sie habe diese Position „mit Härte“ vertreten. Tatsächlich hat sie ihre Veto-Position an diesem Punkt nicht genutzt, und die Finanzausstattung der Agentur, die inzwischen in Wien ihre Arbeit aufgenommen hat, war am Ende genauso hoch wie ursprünglich geplant. „Das zeigt, dass die Regierung die Position des deutschen Parlaments nur als unverbindliche Anregung wahrnimmt“, erklärt CSU-Mann Silberhorn.
Gestern Nachmittag diskutierte die CSU auf ihrer Klausurtagung im Kloster Banz die Europa-Frage auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Vor Beginn der Gespräche gaben sich die meisten CSU-Vertreter unnachgiebig. Nur Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) meinte, dass die CSU an ihrer Position „vielleicht noch ein wenig feilen“ müsse.
CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer verwies dagegen auf einen gemeinsamen CDU/CSU-Gesetzentwurf von 2005, der verbindliche EU-Stellungnahmen des Bundestags vorsah. Nur bei „zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen“ hätte die Regierung von der Parlamentsvorgabe abweichen können. Damals war die Union aber noch in der Opposition. Jetzt ist die Haltung der CDU deutlich regierungsfreundlicher, wohl weil sie selbst die Regierung führt. Nur die CSU hält an der alten Linie fest.
Immerhin hat sich der Bundestag in den vergangenen Jahren deutlich bemüht, seine Informationsgrundlage zu verbessern. Zwar muss er schon seit 1992 von der Regierung über EU-Vorhaben frühzeitig und umfassend unterrichtet werden. Doch erst 2005 wurde dies in einer Vereinbarung zwischen Parlament und Regierung präzisiert. Dabei stellte sich heraus, dass die Regierung vor allem über Vorhaben aus der Außen- und Militärpolitik nur mangelhaft berichtet. Informelle Papiere werden auch in anderen Ressorts oft verweigert. So wollte das Wirtschaftsministerium den Entwurf für ein Europäisches Konjunkturprogramm nicht herausgeben, weil das Papier „einer ständigen Weiterentwicklung“ unterliege, heißt es im parlamentsinternen Monitoring-Bericht, der der taz vorliegt. CHRISTIAN RATH