Der amtliche Pirat

SCHWEDEN Christian Engström errang für seine Partei auf Anhieb einen Sitz im EU-Parlament

VON DANIELA WEINGÄRTNER

Am Telefon meldet sich der Pirat schlicht mit Christian. Beim persönlichen Kennenlernen entpuppt er sich als Gegenentwurf zum Filmpiraten Johnny Depp: Rundlich, freundlich, arglos begegnet Engström all denen, die den ersten Vertreter der Piratenpartei im Europäischen Parlament kennenlernen wollen. Zu kurz geschnittenen grauen Haaren trägt er Ehering statt Ohrring und ein kleinkariertes blaues Hemd. Etwas überwältigt von dem Zirkus, der nun um ihn gemacht wird, sitzt der 49-jährige Schwede im Foyer eines kleinen Hotels in Straßburg und beantwortet geduldig Reporterfragen zu sich und seiner Partei.

Nie hätte er sich träumen lassen, dass seine kleine Partei, die in Schweden gleich im ersten Anlauf einen Sitz fürs Europaparlament errang, auch in den Nachbarländern auf so großes Interesse stoßen würde. Für den Spitzenkandidaten ist es das erste politische Amt. Bis 1997 besaß Christian Engström eine IT-Firma und machte sich 2001 als Berater selbstständig. Doch das Geschäft lief schleppend, seit 2004 ist Engström arbeitslos und lebt von Ersparnissen.

Was sagen seine Frau und sein neunjähriger Sohn dazu, dass er die kommenden fünf Jahre wie ein Nomade leben wird und sie ihn nur noch am Wochenende sehen können? Die Frage verblüfft ihn sichtlich. Dann platzt er heraus: „Ich habe wieder bezahlte Arbeit! Das ist doch die Hauptsache, das hatte ich vier Jahre lang nicht!“ Außerdem sei auch seine Frau in der Piratenpartei aktiv, zu Hause werde ständig über Informationsfreiheit im Netz, über Schutz der Menschenrechte in neuen Technologien geredet.

Informationsfreiheit gilt im Hause Engström auch für Minderjährige. Natürlich hat sein neunjähriger Sohn Internetzugang im Zimmer, die Eltern kontrollieren seinen Medienkonsum nicht. „Kinder lernen unglaublich viel aus dem Fernsehen und den neuen Medien“, glaubt er. Zensur im Netz lehnt Engström ab, ohne Ausnahme. Die Debatte um die Sperrung von kinderpornografischen Internetseiten sei doch von Politikern nur inszeniert worden, um Tatkraft vorzutäuschen. „Wenn jemand etwas Verbotenes tut, muss man ihn bestrafen. Aber man darf nicht den Bürgern vorschreiben, welche Seiten sie aufrufen dürfen und welche nicht.“ Überhaupt werde das Thema maßlos aufgebauscht. „Haben Sie schon einmal so eine Seite gesehen? Ich noch nie.“

In der grünen Fraktion, der er sich Ende Juni angeschlossen hat, werden wohl nicht alle diese Haltung teilen. Die grüne Sprecherin Rebecca Harms sieht aber vor allem beim Urheberrecht Diskussionsbedarf. Auch in Zukunft würden die Grünen sich dafür einsetzen, die Rechte von Autoren im Netz zu sichern. Der Pirat sieht das natürlich anders und plädiert im Übrigen für Arbeitsteilung: Um Klimaschutz, Genfood oder andere wichtige grüne Themen sollen sich seine Fraktionskollegen kümmern. Er wird sich auf neue Technologien konzentrieren, auf die Telekom-Gesetzgebung zum Beispiel oder eben Urheberrechtsfragen.

Sein Interesse für Politik entdeckte Engström 2004. Damals fand in Brüssel eine Konferenz zum Thema Software-Patente statt, und er sagte sich: Da fährst du mal hin. Das EU-Parlament lehnte die Software-Patentrichtlinie am Ende ab. Hat ihn das damals beeindruckt? Engström lacht. „Im Gegenteil! Ich war erstaunt, wie wenig die Abgeordneten im Vergleich zu Rat und Kommission mitzureden haben.“ Und dennoch hat er selbst sich um einen Sitz in diesem schwachen europäischen Parlament beworben? Engström nickt entschieden. „Informationspolitik, Zensur im Netz, das sind nun mal Themen, die man nur auf europäischer Ebene regeln kann.“