: Unternehmen Schädling
Der Frühling naht und mit ihm auch die Frage, welcher Schädling unsere Bäume und Balkons in diesem Jahr bedroht. Dass die Eindringlinge oft weniger gefährlich sind als die Warnungen vor ihnen, gehört mit zum Ritual um Heimat und Bedrohung
VON UWE RADA UND ULRICH SCHULTE
Frühjahrszeit ist Schädlingszeit. Wer seinen Balkon auf Vordergrün bringt, weiß: Unter den Oleanderblättern kuscheln die Blattläuse und zwischen den Töpfen liegt noch der Rest vom Kastanienlaub, der schnell weg muss, damit die Miniermotten keine Frühlingsgefühle kriegen. Als wäre das alles noch nicht genug, warnen Pflanzenschützer jedes Jahr vor neuen Eindringlingen. Hoch im Kurs steht heuer der Eichenprozessionsspinner, eine Raupe, die von Wessiland kommt und die Elbe wohl schon überschritten hat.
Buah!, denkt da der Pflanzenfreund und rennt sogleich ins Gartencenter. Das kleine Gartenreich will schließlich geschützt werden vor den Eindringlingen. Und weil Spüli im Sprüher so ökologisch wie sinnlos ist, setzt der Gartenschützer auf die chemische Keule. Das Unternehmen Schädling hat Konjunktur. Auch wenn die Bedrohung gar nicht echt, sondern nur gefühlt ist.
Kollektiv bedroht fühlt sich der Berliner zunächst von der Miniermotte. Sie verdirbt die Blätter der Kastanien, und damit im Laufe des Sommers auch das Balkonvergnügen, den Spaziergang im Park oder den Feierabend im Biergarten. Nicht nur, dass die Rosskastanie Baum des Jahres und damit ein „Mitmachbaum“ ist – auch die Hauseigentümer wissen um die Erregung ihrer Mieter und legen der Kastanie mitunter einen Leimring um den Stamm. Der ist mit einem Lockstoff beschichtet, der vor allem den männlichen Motten den Garaus macht. Doch nicht jede Motte geht ihm auf den Leim. Auf dem Weg vom Boden zum Blattwerk nimmt unser Schädling für gewöhnlich den Luft-, und nicht den Stammweg. Der Mieter aber ist beruhigt: Motten? Die tun was!
Was tun tut auch das Berliner Pflanzenschutzamt. Dort freilich geht es streng wissenschaftlich zu. Seit einem Jahr betreut Barbara Jäckel den Forschungsschwerpunkt „BerlinCam“. Gemeinsam mit der TFH Berlin, der Stiftung Schlösser und Gärten und den Partnerfirmen aus der chemischen Industrie erkunden Jäckels MitarbeiterInnen neue Wege im Kampf gegen die Miniermotte. Besonderes Augenmerk gilt dieses Jahr den natürlichen Feinden des Kastanienschädlings. „Wir vermehren verschiedene Schlupfwespen im Labor und testen ihre Leistungsfähigkeit.“ Darüber hinaus arbeite man auch an der Entwicklung chemischer Methoden. Solange es aber keine Zulassung gibt, wird man den Bäumen nicht mit Pflaster und Spritze zu Leibe rücken. Nach wie vor, meint Jäckel, sei das Laubsammeln die wirkungsvollste Methode. Nicht nur der Frühling ist Schädlingszeit, auch der Herbst.
Was macht es da schon, dass das „Unternehmen Schädling“ zwar Konjunktur hat, aber ein vergleichsweise kurzes Gedächtnis. Seit die Kastanienminiermotte ihr Unwesen treibt, wird jedes Jahr ein neuer Schädling durch die Stadt getrieben. Vor zwei Jahren war es die Napfschildlaus, voriges Jahr der Eichenwickler. Beide nahmen sich vergleichsweise harmlos aus. Macht aber nix. Dieses Jahr finden wir bestimmt wieder einen neuen Eindringling. Noch bedrohlicher, mit noch längerem Namen, noch asiatischer.
Hat der Gartenfreund alles erledigt, Blattläuse gekeult, Restlaub gekehrt, kann im Grunde nichts mehr passieren. Frühling! Es sei denn, der Lenz zeigt noch mal ’ne lange Nase. Weitaus gefährlicher als alle Eindringlinge aus Asien ist nämlich ein Russe: Väterchen Frost.