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Archiv-Artikel

Mit Samthandschuhen gegen den Nazi

Ein aktiver Neonazi studiert fünf Jahre Sozialpädagogik in Frankfurt/Main. Zufällig wird seine Gesinnung publik, als Kommilitonen ihn auf Fotos erkennen. Doch Dozenten und Mitstudenten verharren unschlüssig, werfen sich gegenseitig Blindheit vor. Diskutieren ist leichter als handeln

„Dass Kommilitone Brühl ein Neonazi ist,hätte euch schon früherauffallen können“

VON HEIDE PLATEN

Sören Brühl ist erst auf den zweiten Blick ein Neonazi. Zwar macht der vierschrötige Südhesse kein Hehl aus seinen Ansichten, etwa dass eine nationale Bewegung hermüsse, die sich auf „ein gewachsenes Volk“ stütze. Er ist Mitglied der „Schwarzen Division Germania“, einer aggressiv auftretenden Truppe, die sich in der Tradition der SS-Totenkopfdivisionen sieht. Als strammer Parteigänger nimmt Brühl auch regelmäßig an Demonstrationen teil und ruft Parolen wie „Widerstand dem Dönerstand“ und „Vietnam den Vietnamesen, aber Deutschland den Deutschen“.

Auf den ersten Blick ist der grundsolide Vater zweier Kinder jedoch Student des Fachbereichs „Soziale Arbeit und Gesundheit“ der Fachhochschule Frankfurt/Main. Er machte seine Scheine, schrieb seine Diplomarbeit, absolvierte einige Praktikumssemester in der Drogenhilfe und darf demnächst als staatlich abgesegneter Sozialpädagoge in Jugend- und Sozialeinrichtungen arbeiten.

Doch das Examen muss noch warten. Denn Kommilitonen erkannten Brühl auf Zeitungsfotos. Inmitten einer Menge fahnenbewehrter Gesinnungsfreunde stand ihr langjähriger Mitstudent im dunklen Kampf-Shirt mit dem Frakturschriftzug „Schwarze Division“.

Die vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierung entstand 2001 in Mainz aus den Reihen des Kreisverbandes der National-Demokratischen Partei Deutschland (NDP) und schloss sich mit „freien Aktivisten“ zur „Sektion Taunus“ zusammen. Sie ist Teil eines deutsch-österreichischen Netzwerkes und agiert paramilitärisch. In ihrem Internetauftritt gibt die „Schwarze Division“ an, als dezentrale Gruppierung zur Einigkeit im „nationalen Widerstand“ beitragen zu wollen und diesen durch Disziplin und Gehorsam zu stärken. Also empfiehlt sie sich als Saalschutz bei rechten Musik- und politischen Veranstaltungen und als Ordner bei Demonstrationen.

Brühl und seine Kameraden traten 2004 beim Rudolf-Heß-Gedenkmarsch im fränkischen Wunsiedel und bei neonazistischen Aufmärschen im mittelhessischen Gladenbach und in Marburg auf. 2003 marschierten die selbst ernannten Bewahrer nationaler Einheit bei einer Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in Schwäbisch-Hall mit. Bei solchen Gelegenheiten wurde Brühl mehrfach fotografiert. Er selbst nahm weder Anstoß daran, noch gab er sich allzu große Mühe, seine außeruniversitären Aktivitäten zu verschleiern.

Doch erst nachdem ihn Studenten in solcher offensichtlich selbst gewählter Gesellschaft erkannt hatten, erregten Brühls Aktivitäten Anstoß. Die Studenten outeten Brühl im vergangenen Herbst mit einem Flugblatt. Doch die Entdecker zogen es ihrerseits vor, unentdeckt zu bleiben. Aus Angst vor Repressionen, heißt es.

Die wütende Reaktion blieb nicht aus, doch kam sie von ganz unvermuteter Seite. Ausgerechnet die sich stets links gebärdenden Vertreter des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) veröffentlichten eine Stellungnahme gegen die Flugblattautoren. Man verwahre sich, so die Studierendenvertretung, gegen diesen „autonomen Verfassungsschutz“. Außerdem seien Neonazis heutzutage ohnehin nichts Besonderes mehr an hessischen Universitäten. Die Kritik gipfelte in dem Gegenvorwurf der Blindheit: „Dass Kommilitone Brühl ein Neonazi ist, hätte euch auch früher auffallen können“, schrieb der AStA an die Adresse der Entdecker. Die Flugblätter verschwanden von den Anschlagtafeln im Foyer der Fachhochschule.

Dafür setzten sich Mitstudenten und Lehrpersonal nun in Arbeits- und Diskussionsgruppen zusammen und rätselten über Gründe für das Schweigen. Niemand wollte etwas Verdächtiges bemerkt haben. Brühl habe sich in den Seminaren unauffällig verhalten, sagen Kommilitonen. Das stimme so nicht, halten andere dagegen. Man habe in den Seminaren und auch während Brühls Praktikum bei der Drogenhilfe Elbestraße im Frankfurter Bahnhofsviertel sehr wohl bemerkt, wes Geistes Kind der angehende Sozialarbeiter sei. Zumindest seine Tätowierungen seien aufgefallen – die schwarze Sonne, Symbol der SS, am Ellenbogen und die Selbstetikettierung „Arier“ quer über den Bauch. Auch sein martialisches Auftreten sei nicht zu übersehen gewesen.

Uneins sind sich Fachhochschüler und -lehrer auch, wie sie mit dem Fall Brühl weiter umgehen sollten. Nur in einem sind sie sich einig: alles soll weiterhin hübsch diskret ablaufen. Keiner möchte namentlich genannt werden, niemand sich mit Stellungnahmen vorwagen. Der gerade einsetzende Diskussionsprozess solle nicht behindert werden, heißt es zur Begründung.

Einige fordern, Brühl so schnell wie möglich der Hochschule zu verweisen. Andere wollen ihn integrieren. Er sei doch schließlich nur „Freizeit-Neonazi“ und nicht aufgefallen, habe „Beruf und privat“ sauber getrennt. Außerdem hätten doch auch Nazis ein Recht auf Bildung und dürften nicht ausgegrenzt werden.

Einzig die Katholische und Evangelische Studentengemeinde spricht Klartext und bezieht eindeutig Stellung. Die Fachhochschule trage gesellschaftliche Verantwortung: „Faschismus ist keine tolerierbare beliebige Meinung.“ Im Hessischen Hochschulgesetz (§3,1) heißt es ausdrücklich, dass Forschung und Lehre einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat verpflichtet sind.

Auf der Suche nach Schuld und Sühne blieben auch die Hochschulen nicht von Vorwürfen verschont. Es mangele an Gelegenheiten zu kritischer Auseinandersetzung in einem System, das zunehmend verschulter und auf praktische Berufsarbeit ausgerichtet sei. Etliche Lehrende verständigten sich darauf, dass Brühl kein Einzelproblem sei. Vielmehr sei er ein Symptom dafür, dass rechtsradikale Gesinnung „in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen und nicht mehr nur ein Randgruppenphänomen sei.

25 ProfessorInnen und 80 Studierende unterschrieben einen Aufruf, in dem die Einführung eines „Pflichtmoduls“ mit den Schwerpunkten „Nationalsozialismus“ und „Neofaschismus“ empfohlen wird. Dieser wurde im Dezember 2004 im Fachbereich „Soziale Arbeit und Gesundheit“ einstimmig verabschiedet.

Brühl stand Anfang des Jahres kurz vor dem Diplom. Seine schriftliche Fleißarbeit zum Thema „Selbstverständnis bei Mitarbeitern der niederschwelligen Drogenhilfe“ wurde im Januar begutachtet und positiv bewertet. Die abschließenden mündlichen Prüfungen fehlen ihm allerdings noch. Nachdem sein Fall publik wurde, hat der betreuende Professor, Holger Happel, die Abnahme der mündlichen Prüfung verweigert. Er erklärte, er fühle sich nach einem persönlichen Gespräch befangen. Er könne niemanden prüfen, der sich rühme, dass sein Vater und sein Großvater aktive SS-Mitglieder gewesen seien.

Die Vizepräsidentin der Fachhochschule, Beate Finis Siegler, erklärte dazu, rechtlich könne man Brühl das Diplom nicht verweigern, solange er keine Straftaten begangen habe: „Uns sind die Hände gebunden.“ Brühl könne sich jetzt einen neuen Prüfer suchen. Wenn sich niemand finde, müsse die Hochschule einen Dozenten verpflichten, Brühl zu examinieren. Der hat angekündigt, dass er sich seine Prüfung juristisch erstreiten wolle.