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Archiv-Artikel

„Wir brauchen einen demokratischen Kern“, sagt Benno Hafeneger

Aussteigerprogramme für Neonazis sind nützlich. Vor allem hilft aber die Arbeit mit den Durchschnittsjugendlichen

taz: Spätestens seit dem Antifa-Sommer 2000 gibt es zahlreiche Aktionsprogramme gegen Rechtsextremismus. Fünf Jahre später sieht sich die Radikale Rechte im Aufschwung. Was ist schief gelaufen?

Benno Hafeneger: Es läuft etwas schief, wenn die Politiker mit großen Worten von diesen Programmen sprechen, wenn das Thema Rechtsextremismus mal wieder Hochkonjunktur hat – dieselben Politiker wenig später aber enttäuscht sind, weil die Initiativen die hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllen. Bei den geförderten Projekten handelt es sich um Programme der politischen Bildung zur Stärkung der Zivilgesellschaft. Sie sind langfristig angelegt.

Kann man nach fünf Jahren keine Bilanz ziehen?

Doch. Die Programme haben das zivilgesellschaftliche Engagement gestärkt, ein Netzwerk gegen Rechtsextremismus geschaffen und vor allem das Problembewusstsein bei den Politikern geschärft. Das ist schon eine ganze Menge.

Konkret messbar sind diese Erfolge aber nicht.

Wenn eine Kommune ein lokales Bündnis ins Leben ruft, um Initiativen der demokratischen Kultur zu unterstützen, wenn Lehrer und andere Multiplikatoren sensibilisiert und geschult werden, dann fehlen natürlich konkrete Zahlen. Lernprozesse sind quantitativ eben schwer zu messen. Bei den Programmen darf es aber nicht darum gehen, zu zählen, wie viele Neonazis ausgestiegen sind. Das Ziel ist eine Schärfung des Demokratiebewusstseins und zivilgesellschaftlichen Verhaltens bei den „normalen“ Jugendlichen.

Eine Abkehr von den Programmen gegen Rechtsextremismus von vor 2000?

Die damalige Familienministerin Angela Merkel unter CDU-Regierung hatte die rechte Szene selbst im Visier. Das Programm konnte zwar einige Mitläufer ansprechen, aber den harten Kern erreichten auch sie nicht. Das geht mit Pädagogik nämlich nicht. Die aktuellen Programme konzentrieren sich auf die engagierte und interessierte Jugend, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzt. Das ist richtig.

Ist es auch richtig, sich nun gar nicht mehr mit der rechten Jugend zu beschäftigen? Sollen wir sie aufgeben?

Nein. Es geht nicht, dass differenzierte Konzepte der akzeptierenden Jugendarbeit öffentlich denunziert werden und die mühselige Arbeit mit rechten Jugendlichen völlig aus dem Blick geraten ist. Zugleich kann ich aber verstehen, dass die Initiativen zunächst einmal mit der Klientel arbeiten möchte, die sie erreicht und ihr auch vertraut ist. Die Konsequenz darf aber nicht sein, dass sich die rechte Jugend selbst überlassen wird.

Sie sprechen von der Stärkung demokratischer Kulturen. Die CDU behauptet, das führe bloß zur staatlichen Förderung linksextremistischer Gruppen. Wie sehen Sie das?

Dass im Einzelfall eine lokale Initiative auch mal Kontakt zu einer gewaltbereiten Antifa-Gruppe hat, mag ja vorkommen. Aber diese Kritik sollte nicht zur Denunziation eines ganzen Programms führen. Denn das suggeriert, dass die Programme ein antidemokratisches Netzwerk unterstützen. Ich konnte das in meinen Evaluationen zumindest nicht feststellen.

Wie erfolgreich ist die Stärkung demokratischer Jugendkultur, wenn es sie vor Ort gar nicht gibt?

Dann haben wir ein ganz grundlegendes Problem. Eine Hand voll Leute, die wir als „demokratische Wegweiser“ bezeichnen, muss es schon geben. Wenn es diesen stützenden Kern aber nicht gibt, dann können die Initiativen noch so gut arbeiten. Dann haben sie mit ihrer Arbeit kaum eine Chance.

Das heißt, bestimmte Regionen, vor allem in Ostdeutschland, fallen zu lassen, weil es dort an solchen Kernen fehlt?

So weit würde ich nicht gehen, aber es ist richtig: Wo keine aktiven Personen sind oder Rechtsextremismus unter den Teppich gekehrt wird, nützen auch keine Programme.

Vielleicht berücksichtigen die Programme zu wenig die besonderen Verhältnisse in den neuen Bundesländern?

In Ostdeutschland gibt es eine Grundstimmung in weiten Teilen der Bevölkerung, die anfällig für autoritäre Lösungen ist. Das sind andere Voraussetzungen als im Westen, wo nach 60 Jahren Demokratie doch ein anderes zivilgesellschaftliches Bewusstsein entstanden ist. Die Aktionsprogramme zeichnen sich vor allem darin aus, dass sie Initiativen vor Ort unterstützen, die sich mit den Problemen in ihrem Umfeld auskennen.

Wir reden immer über Jugendliche. Die Wahlen in Sachsen haben gezeigt, dass der Anteil rechtsextremer Wähler bei älteren Menschen nicht viel geringer ist. Rentner und Erwachsene mittleren Alters werden von den Programmen aber gar nicht erfasst.

Das stimmt. Fast alle geförderten Projekte richten sich an Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene und Multiplikatoren. Und genau das ist auch mein Plädoyer: weg von der Jugendfixiertheit, hin zu Programmen für Erwachsene und auch Familien, die sich auch mit dem rechten Wahlverhalten älterer Menschen beschäftigen. Dafür muss die Politik aber bereit sein, noch mehr Gelder und Aktionsprogramme zur Verfügung zu stellen.

INTERVIEW: FELIX LEE