Träume vom Befreiungskrieg

In Südafrika macht Simbabwes Opposition kurz vor den Parlamentswahlen in der Heimat mobil – für die nächste Wahl. Manche auch für den Aufstand

AUS JOHANNESBURGMARTINA SCHWIKOWSKI

Das Abtasten nach Waffen ist Routine. Typen mit Schlägermützen und Goldkettchen halten am rostigen Zaun, der das alte Basketballfeld im Johannesburger Stadtteil Hillbrow umfasst, Ausschau nach „Spionen“ von Simbabwes Regierung. „Hier in Südafrika laufen genügend Spitzel für Mugabe herum“, sagt Mbiko Moyo und grinst. Der 41-jährige Simbabwer arbeitet für die Organisation „Zimbabwe Torture Survivor Project“ in Johannesburg. Es ist eine der vielen Gruppen, die sich im Verbund der „Krisenkoalition Simbabwe“ in Johannesburg um Flüchtlinge aus dem Nachbarland kümmern und hier jetzt gleich eine Kundgebung veranstalten.

Nach der Kontrolle öffnet sich das Gatter. Rundherum um das Spielfeld türmen sich die heruntergekommen Wohnsilos in Hillbrow auf, ein Viertel trostloser Betonklötze, die als Zufluchtsort für meist illegale afrikanische Immigranten dienen. Über drei Millionen Simbabwer – knapp ein Viertel der Bevölkerung – leben heute in Südafrika, viele unter ihnen sind der Folter des Regimes von Präsident Robert Mugabe entflohen. Die Flüchtlinge finden keine oder nur illegale Arbeit. So hungern manche, und andere treibt die Not in die Kriminalität: Raubüberfälle und Autodiebstahl.

Etwa 300 simbabwische Anhänger der oppositionellen „Bewegung für demokratischen Wandel“ (MDC) sind auf dem Platz versammelt und hören den Reden zu, die ihre Anführer durchs Megafon brüllen. Sie machen Stimmung zur Parlamentswahl, die am 31. März jenseits der Grenze in ihrem Heimatland stattfindet.

„Nieder mit Mugabe“, ruft der junge Weiße und hebt schwungvoll seinen Arm mit geballter Faust. Tawanda Spicer, der Redner mit dem schwarzen Schopf und der weißen Haut, ist nur 21 Jahre alt, hat aber elf Mal in Mugabes Folterkammern qualvolle Stunden bis zum Koma unter Elektroschocks verbracht. Aufgewachsen in einer seit Generationen gegen Unterdrückung politisch aktiven Familie in Simbabwe, entkam er nur knapp dem Tod und floh nach England. „Die MDCler dort diskutieren erst, ob wir bei unseren Treffen rauchen dürfen – das habe ich nicht ausgehalten“, erzählt der Student. Also ging er nach Südafrika, wo die „Politische Aktionsgruppe MDC“ ihn zum Vorsitzenden machte, um sich nicht zwischen Simbabwes schwarzen Ethnien entscheiden zu müssen.

Im Tanzschritt früherer ANC-Aufmärsche im Apartheid-Südafrika laufen die simbabwischen Oppositionellen singend über den Platz. „Fliege schnell wie eine Taube“, werden sie von ehemaligen Kriegsveteranen angefeuert, und ihr Schritt wirkt weniger wie ein Tanz als wie ein Zug in den Kampf. Unter den Exilanten sind einstige simbabwische Soldaten, die im Befreiungskampf der 70er-Jahre mit Mugabe oder im Aufstand Anfang der 80er in Matabeleland im Süden Simbabwes gegen ihn gekämpft haben. Sie würden am liebsten gleich zum Training mit Waffen übergehen – zum nächsten Befreiungskrieg. „Sie haben keine Vision, wofür sie kämpfen“, meint Spicer. „Bewaffneter Kampf ist keine offizielle MDC-Politik.“

„Südafrika und auch die umliegenden Länder erlauben kein militärisches Training auf ihrem Boden, das ist anders als im Anti-Apartheid-Kampf, als Exilländer den bewaffneten Kampf des ANC unterstützten“, sagt Sox Chikohwero. Der ehemalige Soldat in Simbabwes Luftwaffe war in Simbabwe Leiter des MDC-Geheimdienstes – Zielscheibe für Verfolgungen und Folter. Elektroschocks an seinen Genitalien hat er erlitten, und einmal wurde er an einem Seil hängend in einen krokodilverseuchten Fluss getaucht und dabei beschossen. „Mugabes Truppen wurden größtenteils von Nordkoreanern ausgebildet“, sagt er. „Dagegen kann keiner leicht gewinnen.“

Jeder der Flüchtlinge hat eine Geschichte: die Frau, die drei Wochen lang in einem Verschlag von betrunkenen Jugendmilizen vergewaltigt wurde und nun den tödlichen Aids-Virus trägt. Der Mann, der kastriert wurde und jetzt in Südafrika psychologische Betreuung erhält. Der Nachrichtensprecher des staatlichen Fernsehens, der Mugabes Lügen nicht mehr verbreiten wollte. Sie alle sitzen jetzt auf dem Sportplatz in Hillbrow. „Die Wunden werden erst heilen, wenn wir die Wahlen gewinnen“, meint Spicer. Ist das nicht utopisch? „Ja, es stimmt, die MDC ist schwächer geworden, es ist eben schwierig, sich zu organisieren, wenn man auf der Flucht ist.“ Remember Moyo, einer der Oppositionsaktivisten, der angeblich 2001 einen Führer der Mugabe-treuen Milizen umgebracht haben soll und drei Jahre im Foltergefängnis verbrachte, fügt hinzu: „Wir bereiten uns schon auf die Präsidentschaftswahl 2008 vor. Wir versuchen, bis dahin alle notwendigen Institutionen für Wähleraufklärung, Registrierung und Beobachtung vor Ort zu haben.“

Die Exilanten dürfen im Ausland nicht wählen, hat die simbabwische Justiz entschieden. Also gehen viele von ihnen heimlich in ihre Dörfer zurück, um zu wählen. Sie sind schon vor Weihnachten losgegangen, um sich unauffällig registrieren zu lassen. Die Grenzen sind durchlässig, es gibt immer einen Weg, und sei es Bestechung der Taxifahrer und Polizisten.

Eigentlich ist Mbiko Moyo Künstler; er liebt das Theater und betreut kulturelle Tanzgruppen. Jetzt geht er auf dem Nachhauseweg seinen vollgepackten Arbeitsplan durch: Berichte von Neuankömmlingen über Gewalt und Folter aufnehmen, Termine absprechen mit Ärzten, Psychologen und Kollegen aus den anderen Hilfsgruppen für Frauen und Aids-Kranke, Erziehung für Kinder organisieren, Rechtsberatung geben, Asylanträge – die selten durchkommen – und Hilfsanträge bei südafrikanischen Behörden stellen. „Ich weiß manchmal nicht mehr, was ich zuerst machen soll.“