Die babylonische Feinstaub-Verwirrung

Täglich werden im Norden die EU-Grenzwerte überschritten: Was auf recht unterschiedliche Weise interpretiert wird

Während in den Feinstaub-Hochburgen des Nordens täglich die EU-Grenzwerte überschritten werden, versucht die Politik, aus der Diskussion Profit zu schlagen. Es passiert: wenig. Hamburg weist auf seine Brennstoffzellenbusse hin, obwohl im Stadtteil Barmbek seit Januar bereits 14 Mal der Grenzwert von 50 Mikrogramm Staub pro Kubikmeter Luft überschritten wurde. Braunschweig, das zum 32. Mal gegen die Vorschrift verstieß, plant dagegen, Laster aus der City zu bannen.

Auch wenn die EU höchstens 35 Verstöße pro Jahr erlaubt, hält Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) nichts von Fahrverboten. Der volkswirtschaftliche Schaden sei zu groß. Gleichzeitig lehnte er es nicht ab, in Hannover, wo der EU-Grenzwert über Ostern zum 29. Mal gerissen wurde, testweise die betroffene Göttinger Straße eine Woche lang für Brummis zu sperren. Abgase und Reifenabrieb seien jedoch zu höchstens zehn Prozent für den Feinstaub verantwortlich. Der BUND meinte hingegen, der Verkehr mache die Hälfte der Belastung aus und drohte, die Landeshauptstadt zu verklagen. Die Landtagsgrünen drängten, Niedersachsen solle seine Blockadepolitik bei der steuerlichen Förderung von Dieselrußfiltern aufgeben. Sander versuche, mit Hinweis auf „Feinstaubwolken aus Tschechien und Osterfeuer die verkehrsbedingten Ursachen zu verniedlichen“.

Auf das Messpunkt-Problem machten die Göttinger Grünen aufmerksam: In der Universitäts-Stadt würden Feinstäube am Rande des Waldes gemessen – und nicht vor Wohnhäusern an den Hauptstraßen. Es sei davon auszugehen, dass auch Göttingen gegen die EU-Werte verstoße.

Einen ganz neuen Aspekt brachte das Bundesamt für Strahlenschutz in die Debatte ein: Radon sei für neun Prozent aller Lungenkrebserkrankungen verantwortlich. Vor allem im Harz werde der Schwellenwert stellenweise überschritten. Das radioaktive Edelgas dringe je nach Beschaffenheit des Bodens in Häuser ein. Nur mit Messungen in Schlafzimmern oder im Keller ließe sich das genaue Risiko ermitteln. ksc