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Archiv-Artikel

Pleite in Piëchs Palast

Während es bei VW kriselt, gilt die Konzerntochter Autostadt intern als Geldverschwendungs-Maschine. Im PR-Schaufenster von Europas größtem Hersteller sollen Besucherzahlen frisiert werden – und nicht nur das. Die „automobile Erlebniswelt“ reagiert auf die Vorwürfe gereizt und dementiert

Von Kai Schöneberg

Die Leute im Service Center of Excellence sind nicht nur stets mit dem streichholzheft-großen „Mitarbeiter-Credo“ bewaffnet. Wenn im Lamborghini-Pavillon ein Papierchen auf dem Boden landet, müssen die Autostadt-Mitarbeiter sogar eine Pinzette aus einem edlen Lederetui fischen, um den Unrat in den Papierkorb zu befördern. Das soll Eindruck schinden.

Beim Zählen ihrer Besucher ist die Autostadt GmbH, der VW-Erlebnispark direkt am Stammwerk in Wolfsburg, offenbar nicht ganz so penibel. Stolz feierte Geschäftsführer Otto Ferdinand Wachs im Februar den Zehnmillionsten Besucher in den Glaspalästen am Mittellandkanal. Nach Recherchen der taz ist das nur die halbe Wahrheit. Offenbar frisieren die Autostädter ihre Zahlen – und nicht nur das.

Das Schaufenster von Europas größtem Autobauer, das im Juni 2000 auf Betreiben von Ex-Vorstand Ferdinand Piëch eröffnet wurde, gilt vielen im Konzern als Geldverschwendungs-Maschine. Während die Absatzzahlen bröckeln, die Stammmarke VW als stark sanierungsbedürftig gilt und die VW-Malocher gerade unter einem milliardenschweren Sparprogramm ächzen, „schmeißen die Autostädter das Geld mit Händen aus dem Fenster“, ärgern sich VW-Insider. „Piëchs Palast“ sei eine Total-Pleite.

Allein im vergangenen Jahr will Autostadt-Chef Wachs 2,1 Millionen Besucher gezählt haben – das wären sogar doppelt so viele wie ursprünglich geplant. Wenn die Rechnung stimmen würde, müssten täglich fast 6.000 Besucher durch die Glasdrehtüren in die sieben Markenpavillions strömen. Tatsächlich herrscht hier oft gähnende Leere, um zehn Besucher kümmern sich zeitweise acht Service-Kräfte. Werktags holen im Schnitt nur etwa 400, an Wochenenden 800 Käufer in der „automobilen Erlebniswelt“ ihren Wagen ab.

Die Autostadt gilt damit vertriebstechnisch als Flopp – immerhin könnten täglich bis zu 1.000 Autos übergeben werden. Doch nicht nur das: Die zusätzlich offiziell 2.200 Individual-Besucher und 1.000 Bustouristen pro Tag, die pro Person 14 Euro Eintritt zahlen müssten, kommen offenbar per Phantasie-Prinzip zustande.

Alle, die von der Wolfsburger City über die Fussgänger-Brücke Richtung VW-Gelände gehen, landen in der Besucher-Statistik, munkeln Kenner des Betriebs. Dazu gehören Mitarbeiter und Besucher von Spielen des Bundesligisten VfL Wolfsburg in der nahen VW-Arena. Im vergangenen Jahr passierten auch Gäste der Landesgartenschau diese Brücke. Besucher, die zwischen eintrittsfreien und -pflichtigen Zonen pendeln, werden mehrfach gezählt, Gourmets, die in einem der acht Autostadt-Restaurants speisen, tauchen ebenfalls in der Statistik auf.

Pendler wie Restaurant-Besucher werden zugegeben, ansonsten beharrt die Autostadt auf ihren Zahlen. Die Zählungen an der Brücke hätten „nur einen Sicherheitshintergrund und gehen nicht in die Besucherstatistik der Autostadt ein“, sagt Sprecherin Regina Bärthel. Tatsächlich hat Autostadt-Chef Wachs längst eingeräumt, dass nicht mal zwei Drittel der angegebenen Besucher tatsächlich zahlen. Offenbar ist die Wahrheit viel ernüchternder. Ein hoher Autostadt-Mitarbeiter, der die Missstände anprangern wollte, wurde kürzlich vom Management zurückgepfiffen.

Ohnehin scheint man in der Autostadt recht freigebig zu sein. So will unter anderem auch das „Inszenierungsteam mit 50 Kreativen aus aller Welt“ (Wachs) beschäftigt sein. Tanz-Festival, Zeit-Theater oder Vortragsreihen polieren zwar das biedere VW-Image auf, bringen aber offensichtlich viel zu wenig in die Kassen. Etwa 50.000 Euro verprasst das Management so ohne Mühe pro Party-Event im „Mondo-Club“. Andere Betreiber machen mit ihren Diskotheken ein Vermögen.

Insgesamt 240.000 Euro zahlte die Autostadt, damit sechs Mal pro Jahr Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski aus den gläsernen Hallen im weitgehend quotenfreien TV-Raum um die Wette palavern – zuzüglich Mehrwertsteuer. „Unser Gespräch hat uns das sichere Gefühl gegegeben, mit dem ZDF und unserer Sendung in der Autostadt willkommen zu sein“, heißt es in einem Schreiben der Produktionsfirma FTS-Media an „den sehr geehrten Herr Wachs“, das der taz vorliegt. Nicht nur, dass sich Wachs dazu bereit erklärte, den für Branchenverhältnisse ungewöhnlich hohen „vom ZDF nicht gedeckten Kostenanteil von netto Euro 40.000 pro Sendung zu übernehmen“. Die Autostadt sicherte den Philosophen samt Talk-Gästen zudem vertraglich Transfers zum Flughafen, Logis und Empfang im Fünf-Sterne-Superior-Haus Ritz Carlton zu.

Gern erzählen Spötter auch die Geschichte von den Bleikristallen, die „Kreativdirektorin“ Maria Schneider einst in den Bäumen des riesigen Areals aufhängen ließ. Eine Hamburger Bekannte der esoterisch angehauchten Schneider, die ausschließlich levitiertes Wasser trinkt, hatte ihr einst weisgemacht, die Bäume seien krank. Grund: Die Besucher störten das Energiefeld. In einer Nacht- und Nebelaktion ließ Schneider, inzwischen mit Autostadt-Chef Wachs verheiratet, kraftspendende Kristalle anbringen und betanzen. Journalisten wurde beschieden, die Glasplättchen seien „gartenbauarchitektonische Maßnahmen“. Kostenpunkt: mehrere tausend Euro.

Klar ist, dass die Autostadt mit ihrem kühnen PR-Konzept darauf setzt, Volkswagen samt Töchter langfristig in die Köpfe potentieller Autokäufer zu brennen. Laut internen Umfragen kennen aber nur sieben Prozent aller Deutschen die gläsernen Hallen in Wolfsburg. Für die PR-Strategen ein Super-Gau. Die fast 450 Millionen Euro teure Investition ist über den Kreis der bislang 600.000 Abholer und deren nahes Umfeld trotz aller Verrenkungen kein Begriff.

Nach außen wird das anders dargestellt: 45 Prozent aller Deutschen würden die Autostadt kennen, sie sei die „meistbesuchte touristische Destination Norddeutschlands“ und liege damit „im bundesweiten Ranking auf Platz zwei“, verkündet die Pressestelle. Verschämt wird verschwiegen, dass es sich dabei um eine Statistik deutscher Freizeitparks handelt. An erster Stelle liegt demnach der Europapark Rust in Baden.

Kritiker werden in der Autostadt nicht gerne gesehen. Als ein Branchendienst vor einiger Zeit schrieb, intern werde über einen Abriss des missratenen VW-Pavillons nachgedacht, schäumte Wachs: Das sei „absurd und absoluter Blödsinn“, während der damalige VW-Kommunikationschef Klaus Kocks sehr wohl durchblicken ließ, dass der VW-Kubus „zu den Schwächeren“ gehöre.

Auch mit den Mitarbeitern geht man wenig sorgsam um. Wer zum Betriebsrat geht, kann seine Karriere im Haus vergessen. Mobbing-Vorwürfen werde nicht auf den Grund gegangen, sagen Arbeitnehmer-Vertreter. Immerhin hat die VW-Tochter gerade eine Klatsche vom Braunschweiger Arbeitsgericht erhalten: Das entschied, dass die Autostadt auch einen kranken Arbeitnehmer weiter beschäftigen muss.