: Feinstaub macht glücklich
Die Diskussion um Rußpartikel belebt die Diskussion um Fahrverbote. Die würden zwar Feinstaub nicht aus der Luft holen. Aber autofreie Straßen hätten Charme. Ein Plädoyer für mehr Aktionismus
VON ULRICH SCHULTE
Wer will abstreiten, dass ein Sonntagsfrühstück im Frühsommer draußen mehr Spaß macht? Nicht auf dem Balkon, mitten auf der Straße selbstverständlich. Derlei Überlegungen könnten dank des Feinstaubproblems (siehe Kasten) wahr werden, denn die Debatte hat einen Nebeneffekt: Fahrverbote liegen in der Luft. Höchste Zeit, eine alte Forderung neu aufzuwärmen. Räumt die Autos von den Straßen, macht Platz für Menschen!
Bevor nun die Realisten aufschreien – schon klar: Wenn einige Straßen kurzfristig und nur für ein paar Tage dichtgemacht werden, vermindert das den Krebs erregenden Staub nicht. Aber es macht die Stadt ruhiger, nachdenklicher, lebenswerter. Auch kurze, räumlich begrenzte Pausen vom allgegenwärtigen Blechgefährt eröffnen Radfahrern, Fußgängern und nicht zuletzt Kindern neue Spielräume. „Autofreie Tage bringen ein mediterranes Klima in die Stadt“, sagt Felicitas Kubal, Umwelt-Fachfrau der Grünen.
Die neue EU-Feinstaub-Richtlinie verschafft einer Idee Konjunktur, die in den 70ern schon mal umgesetzt wurde – damals allerdings wegen galoppierender Ölpreise –, und sorgt für seltsame Koalitionen. VerkehrsexpertInnen von Grünen und CSU machen sich für bundesweite Sonntagsfahrverbote stark, Bundeskanzler Schröder lehnt sie ab. Für die Hauptstadt schlägt Martin Schlegel vom Umweltverband BUND jetzt vor, sonntags die historische Innenstadt zu sperren. Nicht nur Touristen könnten dann vom Brandenburger Tor zum Jüdischen Museum flanieren. Zudem könne man am Wochenende die Straße des 17. Juni zur Fußgängerzone erklären. Die Grünen-Politikerin Kubala kann sich gar Berlin innerhalb des S-Bahn-Rings an einzelnen Tagen gut autofrei vorstellen, den Bedarfsverkehr mal ausgenommen. Neu sind diese Forderungen nicht, neu ist aber die gesellschaftliche Debatte, an die sie andocken können.
Zugegeben, kurzfristige Fahrverbote helfen nicht gegen Feinstaub, wie es Düsseldorfs Stadtobere jetzt propagieren. Die Verkehrsverwaltung hat für ihre strikte Ablehnung gute Argumente: Nur ein Viertel des Staubs wird in Berlin vom Verkehr verursacht. Ist ein Kiez dicht, kurven Pkws und Lkws auf längeren Wegen drum herum und lassen noch mehr Abgase hinter sich. Aufs Jahr gerechnet, ändert sich der wichtige Tagesmittelwert von Feinstaub kaum.
„Kurzfristig die ein oder andere Straße zu sperren bringt überhaupt nichts“, fasst Manuela Damianakis, Sprecherin der Verkehrsverwaltung, zusammen – statt einen Verschiebebahnhof aufzumachen, setzt Rot-Rot darauf, Dieselstinker langfristig mit einer Umweltzone aus der Innenstadt zu verbannen. An der Argumentation ist was dran, leider. Im Sommer 2002 erklärte der rot-rote Senat die Beusselstraße in Moabit zum Verkehrslabor. Aber weder Tempo 30 noch eine einmonatige Sperrung für Lkws reduzierten den Krebs erregenden Staub wesentlich. Wer also sagt, Fahrverbote machten die Luft sauber, betreibt Aktionismus. Aber dies behaupten übrigens weder der BUND noch die Grünen.
Eines aber würden Sperrungen, da sind sich alle einig, mit Sicherheit bewirken – zwar nicht in der Berliner Luft, aber in den Köpfen der BerlinerInnen. „Autofreie Tage schaffen bei den Fahrern das Bewusstsein: Wir sind Teil dieses Problems“, sagt die Grüne Kubala. Auch BUND-Referent Schlegel glaubt an den didaktischen Effekt. „Fahrverbote fördern die Nachrüstung mit Dieselrußfiltern.“
Warum, lieber Senat, also nicht die Gunst der Stunde nutzen – für ein bisschen politischen Aktionismus?
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