: Was wäre, wenn ...
... der Staat Niedrig-Löhne stützen würde?
Die Idee: „Lohnnebenkosten runter!“, lautet eine gängige Forderung. Zwei Ökonomen der Universität Magdeburg haben das für den Niedriglohnsektor einmal durchgerechnet: 1,8 Millionen Arbeitsplätze ließen sich hier schaffen – und der Staat würde 4,4 Milliarden Euro jährlich sparen. Mindestens.
Die Professoren Ronnie Schöb und Joachim Weimann setzen mit ihrer „Magdeburger Initiative“ bei einer unstrittigen Erkenntnis an: Besonders gering Qualifizierte sind von der Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Daraus folgern die beiden, dass die Arbeitskosten im Niedriglohnsektor immer noch zu hoch seien. So verdient etwa ein Fensterreiniger im untersten Tarif 6,80 Euro pro Stunde; das entspricht 1.000 Euro brutto im Monat. Zusätzlich muss sein Arbeitgeber etwa 200 Euro an die Sozialversicherungen abführen. Da verzichten viele lieber auf einen Fensterputzer. Sie vergeben den Auftrag schwarz – oder stellen sich selbst auf die Leiter.
Daher, so die Professoren, müssten die Arbeitskosten der gering Qualifizierten um etwa 30 Prozent sinken. Die Magdeburger Wissenschaftler wollen jedoch keine Konfrontation mit den Gewerkschaften. Also sollen die Nettolöhne unverändert bleiben – doch die Arbeitgeber würden die gesamten Sozialversicherungskosten erstattet bekommen, wenn sie einen Langzeitarbeitslosen zusätzlich in der untersten Tarifgruppe einstellen. Die Arbeitskosten würden so um 35 Prozent fallen.
Allerdings ist eine Gefahr nicht zu übersehen: Die Arbeitgeber könnten einfach versuchen, ihre alten Mitarbeiter durch neue zu ersetzen. Um diesen „Drehtüreffekt“ zu verhindern, soll zusätzlich zu jedem neu eingestellten Langzeitarbeitslosen auch ein bereits Beschäftigter subventioniert werden. Langfristige Konsequenz: Es würden fast alle Niedriglöhne bezuschusst.
Trotzdem wäre diese Subvention für den Staat profitabel, so die beiden Professoren, zahlt er doch auch bisher die Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitslosen. Zudem könnte er sich das Arbeitslosengeld II sowie die 1-Euro-Jobs sparen.
Die Chancen: Die „Magdeburger Alternative“ interessiert parteiübergreifend. Bundespräsident Horst Köhler hat sie ins Manuskript für seine jüngste Jobrede aufgenommen; Grünen-Chef Bütikofer schreibt lobende Kommentare.
Das Problem: Die „Magdeburger Alternative“ ist ein weiteres Kombilohn-Modell. Und die sind bisher immer gescheitert. Auch diesmal könnten die Arbeitgeber zwar gern die Subvention kassieren, aber keine neuen Jobs schaffen. Denn wie viele Leute man einstellt, hängt nicht nur von deren Preis ab – man muss sie auch brauchen.
ULRIKE HERRMANN
... Arbeitslose anders gezählt würden?
Die Idee: Den Wunsch hegen viele Sozialpolitiker, bisher allerdings nur heimlich: einfach die lästige deutsche Arbeitslosenstatistik abschaffen und durch die international genormte Zählweise der International Labour Organization (ILO) ersetzen. Damit ließen sich die Arbeitslosenzahlen sofort um eine Million senken.
Zwar gibt es die ILO-Statistik schon, in Deutschland wird sie bisher aber zu wenig wahrgenommen. Nach dem Erwerbskonzept der ILO waren in Deutschland im Januar nur 3.988.000 Menschen arbeitslos, die offizielle Statistik hingegen zählte in diesem Monat 5.037.000 Arbeitslose.
Die Unterschiede ergeben sich aus den verschiedenen Erhebungsmethoden. Nach der ILO-Methode wird die Zahl der Arbeitslosen aus einer stichprobenartigen telefonischen Befragung der Bevölkerung hochgerechnet, die offizielle deutsche Methode hingegen zählt die einzelnen Meldungen bei den Arbeitsagenturen.
Laut ILO-Konzept gilt nur derjenige als arbeitslos, der in den vergangenen vier Wochen aktiv nach einem Job gesucht hat und in den nächsten zwei Wochen eine Beschäftigung aufnehmen könnte. Schon wer nur eine Stunde in der Woche schafft, ist laut ILO nicht mehr arbeitslos. Nach der offiziellen deutschen Statistik hingegen kann sich noch als arbeitslos melden, wer weniger als 15 Stunden wöchentlich ackert. Zudem wird nicht überprüft, ob es konkrete Bemühungen um einen Job gibt.
Das ILO-Konzept erfasst also jene Leute nicht, die zwar Arbeitslosengeld II beziehen, sich aber gar nicht aktiv um eine Stelle bemühen. Andererseits aber werden mit der ILO-Methode auch Menschen gezählt, die ohne Hilfe der Arbeitsagenturen nach einem Job fahnden. Dazu gehören beispielsweise auch Frauen aus der so genannten stillen Reserve, also Hausfrauen, die gegenüber den Agenturen keine Ansprüche haben, aber trotzdem aktiv eine Stelle suchen.
Die Chancen: Eine Zählung nur noch nach ILO-Standard würde die Sozialpolitik von dem Dilemma befreien, dass sich mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II viele Leute bei den Arbeitsagenturen melden mussten, die sich gar nicht um einen Job bemühen. Darunter fallen etwa die LebensgefährtInnen von Langzeitarbeitslosen oder gesundheitlich eingeschränkte LeistungsempfängerInnen.
Das Problem: Die ILO-Statistik erfasst jene Menschen nicht, die nicht mehr suchen, weil sie die Hoffnung auf einen Job aufgegeben haben. Wenn die rot-grüne Regierung die bisherige Zählweise abschaffte, würde die CDU/CSU-Opposition zudem umgehend lauthals über die „Manipulation“ der Statistiken lamentieren. BD
... alle kürzer arbeiten würden?
Die Idee: Der Vorschlag, die Arbeitsstunden einfach umzuverteilen, klingt so einfach, dass ihn jedes Kind versteht. Angenommen, alle Beschäftigten in Vollzeit geben ein paar Stunden von ihrer Arbeitszeit ab, dann hätten alle einen Job und mehr Freizeit. Eine schematische Rechnung: Würden die 24 Millionen Vollzeitbeschäftigten in Deutschland ihre Arbeitszeit von 40 auf 35 Wochenstunden kürzen und Lohneinbußen in Kauf nehmen, könnten auch 3,4 Millionen Erwerbslose einen 35-Stunden-Job bekommen. Der Lohnverzicht für die Vollzeiter betrüge nur 13 Prozent. Die Idee der Arbeitsumverteilung durch verkürzte Jobzeiten ist bestechend. 1994 wurde das Thema brandaktuell, als Sozialminister Norbert Blüm (CDU) für Teilzeit warb, um mehr Leute in Lohn und Brot zu bringen. Männer, die in Teilzeit ackerten, wurden plötzlich als Trendsetter gefeiert. Die Niederlande, in denen erheblich mehr Leute in Teilzeit arbeiteten als in Deutschland, galten als leuchtendes Beispiel. Auslöser des Trends war der VW-Konzern, der im Herbst 1994 die Viertagewoche ohne Lohnausgleich eingeführt hatte – allerdings nicht, um neue Jobs zu schaffen, sondern um Entlassungen zu verhindern.
Die Chancen: Das Modell Arbeitsumverteilung ist bestechend, weil es kein zusätzliches Geld aus den Sozialkassen kosten, sondern im Gegenteil Milliarden Euro Arbeitslosengeld sparen würde. Verfechter argumentieren zudem, dass so die ungleiche Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zwischen Männern und Frauen nivelliert würde, dann nämlich, wenn Männer weniger Zeit im Job und mehr Zeit in der Familie verbringen.
Das Problem: Die Bereitschaft der Menschen, aus Gründen der Solidarität freiwillig auf Arbeitszeit und damit auf Lohn zu verzichten, ist gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten gering. Das haben die Erfahrungen im öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre gezeigt. Dort sorgte schon der Abbau von bezahlten Überstunden mancherorts für Unmut an der Basis. Für NiedrigverdienerInnen ist zudem schon eine Lohneinbuße von 10 Prozent ein herber Verlust. Die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ist deshalb in den vergangenen Jahren nur als Mittel der Einsparung durchsetzbar gewesen, wenn den Beschäftigten ansonsten der Jobverlust drohte. Die Einigungen im Berliner öffentlichen Dienst im Sommer 2003 und bei Opel Rüsselsheim im Herbst 2003 sind dafür Beispiele.
BARBARA DRIBBUSCH
... der Markt kalt walten würde?
Die Idee: Vollbeschäftigung ist eigentlich der Naturzustand. Wenn es Erwerbslose gibt, dann nur deshalb, weil marktferne Tarifkartelle sich anmaßen, über die Lohnhöhe zu bestimmen. Kurz: Die Arbeit ist in Deutschland zu teuer. Prominentester Verfechter dieser Idee ist Hans-Werner Sinn, der das Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) leitet: „Freie und flexible Löhne schließen Arbeitslosigkeit aus, denn es kommt zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage.“
Konkret schlägt Sinn vor, die Löhne in Deutschland durchschnittlich um 10 bis 15 Prozent zu senken. Damit die Beschäftigten diesen Verlust nicht so spüren, sollen sie entsprechend länger arbeiten und einer 42-Stunden-Woche zustimmen. Natürlich müssen auch alle Eingriffe in den Markt entfallen: Branchenweite Tarifverträge und den gesetzlichen Kündigungsschutz soll es nicht mehr geben.
Die Chancen: Die Aussichten stehen bestens für dieses Programm. Um ihre Arbeitsplätze zu retten, sind die Beschäftigten inzwischen zu fast jedem Zugeständnis bereit. Jüngstes Beispiel ist das Siemenswerk in Würzburg: Trotz einer Umsatzrendite von etwa 6 Prozent droht das Management damit, nach Tschechien abzuwandern, falls die Beschäftigten in den kommenden 5 Jahren nicht 50 Millionen Euro einsparen. Der Betriebsrat hat Entgegenkommen signalisiert.
Das Problem: Kündigungsschutz und Lohnhöhe sind eigentlich nicht das Probleme. Das kann man bedauern. Denn sonst wäre es ja einfach, den deutschen Arbeitsmarkt zu beleben. Nur Hire & Fire – und schon wäre die Vollbeschäftigung erreicht. Doch diese Hoffnung hat sich in diversen Großversuchen zerschlagen. So gibt es für neu eingestellte ältere Arbeitnehmer über 50 faktisch keinen Kündigungsschutz mehr. Dennoch blieb die ersehnte Einstellungswelle aus. Ähnlich unergiebig sind andere Flexibilisierungsversuche, etwa die Zeitarbeit.
Bei den Löhnen wiederum stellt sich das Problem, dass sie gerade kein reines Kostenproblem sind. Sonst müsste man sie tatsächlich nur senken, um Vollbeschäftigung zu erreichen. Doch Einkommen bedeutet auch Konsum. Es reduziert die Absatzchancen für die Unternehmen, wenn sie bei den Löhnen kürzen. Dieses Wachstumsrisiko sollte nur eingegangen werden, wenn andernfalls der gesamten Volkswirtschaft droht, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Und das ist beim Exportweltmeister Deutschland bislang nicht zu erkennen. UH