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Archiv-Artikel

„Die Botschafter überschreiten die Grenze der Loyalität“, sagt Hans Arnold

Der frühere Diplomat kritisiert seine Kollegen, aber auch den Außenminister für ihre Haltung in der Nachruf-Affäre

taz: Herr Arnold, im Streit um die Nachrufe des Auswärtigen Amts haben Sie sich bisher auf keine der beiden Seiten geschlagen. Warum?

Hans Arnold: Weil beide Seiten einfach falsche Ausgangspunkte haben. Den Kollegen, die protestieren, habe ich gesagt: Ich unterschreibe bei euch gern, aber es muss deutlich werden, dass wir unsere Kollegen für ihre Arbeit im Dienst der Bundesrepublik ehren. In der Zeit vor 1945 waren das nicht meine Kollegen. Ich weiß nicht, was sie damals getan haben, und deshalb kann ich dieser Menschen für die Zeit vor 1945 nicht ehrend gedenken.

Und was hat Fischer nach Ihrer Ansicht falsch gemacht?

Er hat sich auf das gleiche Niveau begeben, indem er vor die Gründung der Bundesrepublik zurückgeht und pauschal urteilt. Er wollte das Amt sozusagen nachträglich auf seine Weise entnazifizieren.

Der Anlass für Fischers Erlass war der Nachruf für Franz Nüßlein, der als Staatsanwalt während des Krieges für zahlreiche Todesurteile verantwortlich war. Da ist die Reaktion des Außenministers doch berechtigt?

Nüßlein war ein schlimmer Finger, keine Frage. Fischers Fehler war, dass er aufgrund dieses Einzelfalls eine globale Maßnahme getroffen hat. Wenn Fischer nicht so abgehoben wäre, dann hätte er auch auf die Formulierung kommen können, die ich vorgeschlagen habe: dass man die Verstorbenen ehrt, aber ausdrücklich nur für die Arbeit im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik.

Liegt das Problem für Sie also darin, dass Fischer nur die Parteimitgliedschaft zum Maßstab nimmt?

Schauen Sie mal in das biografische Lexikon für den Auswärtigen Dienst. Ich habe meinen Augen nicht getraut, wer alles in der NSDAP war. Eigentlich alle. Wenn man so herangehen will wie Fischer, dann muss man auch den früheren Staatssekretär und NSDAP-Angehörigen Karl Carstens aus der Ahnengalerie herausnehmen, vor allem aber den ersten Außenminister Konrad Adenauer. Er hat die Politik, die früheren Nazis zu integrieren, ja bewusst betrieben. Das war keine schöne Politik, aber sie war in der damaligen Lage richtig.

Warum?

Da kann man nur Adenauer selbst zitieren: Wenn Sie nur schmutziges Wasser haben, dann können Sie halt nur mit schmutzigem Wasser waschen. Seine Erkenntnis war: Wenn ich in Nazi und Nicht-Nazi unterscheide, dann habe ich ja niemanden mehr.

Wieso war die personelle Kontinuität im Außenamt nach 1945 größer als andernorts?

Durch die Auslandstätigkeit hatte man immer schon ein besonderes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dadurch haben sich die Seilschaften nach 1945 vielleicht etwas schneller wiederbelebt als in anderen Behörden.

Und Sie hatten mit den alten Nazis im Amt nie ein Problem?

Doch. Ich sollte 1960 nach Bagdad versetzt werden. Der Botschafter dort hieß Werner von Bargen. Er war gerichtsnotorisch bekannt als Mitglied der deutschen Botschaft in Belgien während des Krieges, zuständig für die Deportation der belgischen Juden. Ich sollte sein Stellvertreter sein, sozusagen sein Alter Ego. Das hätte ich nicht ausgehalten. Deshalb habe ich es mit dem Argument hintertrieben, dass meine Frau nicht tropentauglich sei.

In der Nachruf-Debatte haben sich dutzende Diplomaten öffentlich gegen den Außenminister gewandt. Haben Sie Vergleichbares schon mal erlebt?

Dass pensionierte Botschafter der staunenden Öffentlichkeit erläutern, dass der Außenminister Mist gebaut hat – da ist eine Grenze überschritten. Ich kann mich nur an einen einzigen Fall von Illoyalität erinnern, die wirklich nach außen drang. Das war 1965. Um zu verhindern, dass der damalige CDU-Politiker Gerhard Schröder wieder Außenminister wird, gab der Diplomat Hans Graf Huyn interne Papiere an einen CSU-Abgeordneten weiter.

Gab es Konsequenzen?

In einer Pressekonferenz wurde mein Kollege Paul Frank gefragt, ob er eine solche Gewissensentscheidung nicht verstehen könne. Er hat geantwortet: Von Gewissen können Sie erst reden, wenn Sie die Schreie aus dem Keller hören. Graf Huyn hat den Dienst dann quittieren müssen und recht kümmerliche Jahre in einer Finanzverwaltung verbracht, bevor er als CSU-Abgeordneter in den Bundestag kam.

Das war der einzige Fall?

Nach meiner Kenntnis ja. Als Willy Brandt 1966 Außenminister wurde und mit seiner Ostpolitik begann, sind zwar ein paar Leute zu mir gekommen und haben sich – in Anführungszeichen – auf ihr Gewissen berufen. Aber das hielt sich alles innerhalb der Grenzen normaler Loyalität. In einem Fall habe ich einem Kollegen, der mit der neuen Linie Magenzwicken hatte, einen weniger exponierten Posten verschafft.

Woran liegt es, dass ausgerechnet gegen Fischer jetzt ein solcher Aufstand ausbricht?

Am Anfang war Joschka Fischer im Amt der Darling von allen. Jetzt scheint es eine riesige Enttäuschung zu geben, dass er wohl außer sich selbst niemanden mehr ernst nimmt und auf niemanden hört. Und da sieht man auf einmal: Auch er ist angreifbar. Das ist wie mit des Kaisers neuen Kleidern, und das scheint mir auch der eigentliche Grund für die Nachruf-Debatte zu sein. Den Kollegen, die heute im Dienst sind, ist doch das ehrende Angedenken an 95-jährige Ex-Botschafter eigentlich egal.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN