: „Groove ist der Schlüssel zu meiner Musik“
SOUL JAZZ Der afroamerikanische Jazzvibrafonist Roy Ayers über Coverversionen, extravagante Kleidung und miese Charaktere
■ Roy Ayers wurde 1940 in Los Angeles geboren und bekam seine ersten Vibrafonschlegel mit fünf Jahren von der Jazzgröße Lionel Hampton geschenkt.
■ Seit 1963 macht er Platten, und entwickelte seinen Sound vom Jazz zu einem Mix aus Disco, Funk und Jazz weiter, charakteristisch sind die reduzierten, oft wiederholten Gesangsphrasen zu Jazzakkorden. 1973 komponierte er den erfolgreichen Soundtrack zu Jack Hills bekanntesten Blaxploitation-Film „Coffy“, in dem Pam Grier eine sich für den Drogentod ihrer Schwester gnadenlos bei den Dealern rächende Krankenschwester spielt. 1976 hatte Ayers seine größten Hits mit „Everybody loves the sunshine“ und „Running Away“. Er arbeitete in den 80ern lange mit dem nigerianischen Musiker Fela Kuti zusammen. Von den Songs seines 2001 erschienenen Albums „Virgin Urbiquity“ gibt es bis heute unzählige Remixe. Neben eigenen Alben produzierte er unter anderem einen Song für Erykah Badu.
■ Roy Ayers live, 17. Juli Berlin, Lido, 20 Uhr (Doppelkonzert mit Guru’s Jazzmatazz)
INTERVIEW JENNI ZYLKA
taz: Die Rapper A Tribe Called Quest haben Ihre Musik gesampelt, R-’n’-B-Star Mary J. Blige hatte mit einem Remake Ihres Songs „Everybody loves the sunshine“ einen Riesenhit. Ist Ihnen die Zweitverwertung Ihrer Musik eigentlich lästig?
Roy Ayers: Im Gegenteil. Es ist ein tolles Gefühl, wenn jemand meine Songs neu aufnimmt. Außerdem bekomme ich schließlich Geld dafür. Man wird tatsächlich für den gleichen Song doppelt bezahlt, und manchmal werden Coverversionen noch erfolgreicher als das Original. Glücklicherweise fällt es mir leicht, Musik zu schreiben. Ich bin als Komponist äußerst spontan. Meine Musik entsteht meistens im Studio, auch all meine Hits habe ich in kurzer Zeit geschrieben.
Sie sind Jazzmusiker. Wie viel Jazz steckt in Ihrem Disco-Song „Searching“?
Ja, ich komme vom Jazz. Und Jazz besteht aus Improvisation, genau wie R ’n’ B oder Blues. Das spontane Singen oder spontane Komponieren ist eben auch Improvisation. Musikerkollegen haben mir schon öfter vorgeworfen, ich würde mich verkaufen, hätte den Jazz verraten. Stimmt aber nicht, ich habe es nur geschafft, meine Songs in andere Formen von Musik einzubetten, die es mir ermöglicht haben, als Künstler zu existieren. Musik verändert sich ja ständig, so wie alles im Leben.
Wie meinen Sie das?
Plattenfirmen zum Beispiel, die unternehmen rein gar nichts mehr für mich, nicht dass sie vorher so viel gemacht hätten. Aber früher gab es wenigstens Artist-&-Repertoire-Manager, die sich tatsächlich um mich gekümmert haben, denen meine Musik wichtig war. Heutzutage geht es ihnen nur noch ums Geld.
Ich verstehe das ja, natürlich müssen sie auch von etwas leben. Deswegen haben wir Musiker heute aber richtig zu kämpfen. Ich glaube, die Technokraten haben, entschuldigen Sie meinen Ausdruck, die Musikbranche versaut. Sie haben zu viele Hilfsmittel auf den Mark gebracht, die von Musikern wie mir genutzt werden können. Das ist dumm gelaufen: Sie haben Geräte erfunden, mit denen jeder auf hohem Niveau aufnehmen kann. Dazu gibt es noch YouTube und all diese Internetplattformen. Jeder kann dort seine eigenen Bild- und Tonaufnahmen ins Netz stellen, anderer Leute Musik verkaufen. Ich glaube nicht, dass das ursprünglich die Absicht war, es ging eben einfach um Profit.
So kann man aber Musik ohne Einflussnahme herausbringen. Und technische Entwicklungen sind doch auch hilfreich …
Stimmt. Sie lassen sich ohnehin auch nicht mehr rückgängig machen. Musiker müssen sich jetzt neue Wege überlegen, um an Geld ranzukommen. Ich habe das Glück, auch mit fast 69 noch gesund genug zu sein, um Konzerte geben zu können. Ich versuche, so viel zu arbeiten wie möglich, das habe ich immer getan. Irgendwie scheint immer noch etwas aus mir heraus zu wollen. Dafür danke ich dem Schöpfer.
Nach wie vor singen Jazzerinnen eher ins Mikrofon und spielen selten an den Instrumenten. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Nein. Es gibt ganz tolle Jazzmusikerinnen, die Vibrafonistin und Pianistin Terry Pollard wäre ein Beispiel. Es gibt aber nur wenige, die sich durchbeißen. Interessant finde ich, dass es trotzdem drei sehr wichtige, exzellente Jazzpianistinnen geschafft haben, einflussreich zu werden: Dinah Washington, Sarah Vaughan und Carmen McRae! Bekannt geworden sind sie natürlich als Sängerinnen. Die meisten wussten nicht mal, dass sie auch Instrumente spielen. Dabei haben sie den Pianisten, die sie begleiteten, erst die richtige Phrasierung beigebracht. Billie Holiday war keine Pianistin, hatte aber einen so markanten Gesangsstil und -sound, dass sie problemlos neben ihren Musikern bestand. Die Soulsängerin Erykah Badu erinnert mich ein bisschen an Billie Holiday.
Haben Sie deshalb den Titelsong von Erykah Badus letztem Album „New Amerykah“ produziert?
Ich lernte Erykah schon vor Jahren kennen, weil ich sie nach einem Auftritt in Chicago für die Illustrierte Ebony interviewte. Sie sagte: Was für eine Ehre! Du bist der König des Neo-Soul. Ich sagte: Aha, interessant, was ist Neo-Soul? Sie sagte, das sei doch mein Musikstil, und, Künstler wie Gil Scott-Heron oder ich hätten die Musikwelt stark beeinflusst. Ich hatte das gar nicht so gesehen.
Inwiefern ist das Alter wichtig, wenn man Musik macht?
Als ich 40 war, habe ich mir mal einen Bart wachsen lassen. Und bei einem Auftritt sagte ein hübsches Mädchen, das nach dem Konzert um mich herumscharwenzelte: Mein Gott, bist du alt! Denn sie hatte ein graues Haar in meinem Bart entdeckt. Am nächsten Tag war er ab … Rein musikalisch gesehen, kann man mit allem weitermachen, egal, wie alt man ist.
Einer meiner Lieblingsmusiker – neben Lionel Hampton – ist Miles Davis. Miles hat erst in seinen späteren Jahren angefangen, sich flamboyant zu kleiden. Wir haben ein paar Auftritte zusammen gehabt, wie er da in diesen extravaganten Klamotten und der tiefschwarzen Haut neben mir stand, einfach umwerfend! Könnte also sein, dass ich auch bald anfangen werde, mich ausgefallen zu kleiden.
Hoffentlich schon heute Abend bei Ihrem Konzert in Berlin! In Europa spielen Sie fast ausschließlich vor einem jungen Publikum das Blaxploitationfilme, Funk und R ’n’ B mag. In den USA haben ihre Zuhörer einen anderen kulturellen Hintergrund.
Die Leute verstehen meine Musik überall, sogar wenn sie eine fremde Sprache sprechen. Denn sie können den Rhythmus verstehen, sie hören den Beat, kapieren das Gefühl. Der alte Lionel-Hampton-Spruch stimmt einfach: It don’t mean a thing if it ain’t got that swing. Das ist der Schlüssel zu meiner Musik: der Groove. Die Essenz fast aller Musikstile ist der Beat. Meine Tochter ist jetzt 30. Als sie jünger war, habe ich sie oft gefragt, warum hörst du dir solche Typen wie Eazy-E mit all seinen brutalen Raptexten an? Sie hat immer gesagt: Papa, ich mag den Beat. Bei Rap zählt vor allem der Beat, genau wie bei James Brown. Sogar bei weißen Hardrockbands geht es um den Beat, die haben ja auch diese riesigen Drumsets. Schon kleine Kinder stehen mehr auf Rhythmus als auf die anderen Elemente der Musik. Der Rhythmus motiviert die Menschen am meisten.
Welche zehn Alben würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?
Miles Davis, vielleicht seine Best of. Wahrscheinlich Erykah Badu, Deedee Bridgewater, Chaka Khan, ich würde sogar Jamiroquai mitnehmen, obwohl er mich übers Ohr gehauen hat und mich nicht für eine Aufnahme bezahlt hat. Ein mieser Charakter, aber sein Sound ist prima. Ich habe ihn nicht verklagt, weil ich ein netter Mensch bin.
Dann würde ich Platten von meinem Lieblingspianisten Ahmad Jamal mitnehmen, von Bobby Hutcherson und ein paar klassische Jazzalben: das Modern Jazz Quartett zum Beispiel, mit denen ich aufgewachsen bin, frühe Cal-Tjader-Alben und natürlich eine Lionel-Hampton-Platte mit dem Song „Flying Home“! Ich muss auch noch Dizzy Gillespie, Charlie Parker und John Coltrane unterbringen …
In letzter Zeit ist bei mir dieser komische Gedanke gereift, neue Bebop-Stücke zu schreiben, Bebop auf ein anderes Level zu hieven. Vielleicht versuche ich das mal! Ich habe das bislang noch nicht gemacht, weil ich den kommerziellen Aspekt von Musik kenne und weiß, wie wichtig es ist, im Radio gespielt zu werden. So richtig steige ich nicht durch, aber scheinbar decken viele Radiostationen ihren Bedarf an schwarzer Musik schon mit HipHop ab, anderes kommt darum zu kurz. Ich will HipHop aber nicht pauschal verurteilen.
Wie stehen Sie zu klassischer Musik, die in Ihrem Elternhaus noch eine Rolle spielte?
Ich stamme aus einer Lehrerfamilie. Meine Schwestern spielten Geige, und ich bin mit Klassik aufgewachsen. Aber um ehrlich zu sein: Lionel Hampton wurde bei uns zu Hause mehr goutiert als klassische Musik. Hampton war in meinem Leben extrem wichtig. Ich schwöre, dass ich sogar mal dachte, ich sei seine Reinkarnation und würde ihn irgendwann ersetzen!