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Archiv-Artikel

Rot-Grün und Fischer versuchen’s offensiv

Nach langem Hin und Her über den Auftritt Joschka Fischers im Visa-Ausschuss lädt überraschend Rot-Grün den Außenminister vor. Union und FDP überrumpelt. Aussage am 25. April, vier Wochen vor rot-grüner Schicksalswahl in Nordrhein-Westfalen

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Gemeinsame Erfolge feiern – das ist für rot-grüne Politiker inzwischen ein sehr seltenes Erlebnis. Kaum ein Tag vergeht ohne neue Horrorzahlen von den Arbeitsämtern und den Demoskopen. Nach den neuesten Umfragen würden gerade noch 36 Prozent der Deutschen SPD und Grüne wählen. Da ist es nachvollziehbar, dass sich die Koalitionäre schon über kleine taktische Siege freuen. Jerzy Montag und Olaf Scholz jedenfalls, die beiden Obleute von Rot-Grün im Visa-Untersuchungsausschuss, genießen es an diesem sonnigen Donnerstag, dass sie die Union überrumpelt haben. „Die müssen jetzt wohl erst mal mit Frau Merkel telefonieren“, lästert einer aus der rot-grünen Riege über die verblüfften Kollegen von der CDU, die sich zu internen Beratungen zurückgezogen haben.

Joschka Fischer soll schon am 25. April in den Visa-Ausschuss kommen, vier Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, und sein grüner Parteifreund, Exstaatsminister Ludger Volmer, bereits am 21. April – mit diesem Vorschlag, den Scholz und Montag zu Beginn der gestrigen Ausschusssitzung präsentierten, hatte kaum jemand gerechnet. Nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten wusste vorher schon Bescheid, und, darauf sind sie bei Rot-Grün besonders stolz, alle haben dichtgehalten. Mit einem Schlag, so das Kalkül, wollte man den Außenminister von der zunehmenden Kritik befreien, er drücke sich vor einem Auftritt im Untersuchungsausschuss. Der Ausschuss soll klären, inwieweit der Minister persönlich in die missratene Visapolitik in den ersten rot-grünen Amtsjahren verstrickt ist, die Missbrauch durch Schleuser erleichtert hat.

Wochenlang hatte die Union gefordert, Fischer müsse kommen – und andernfalls sogar mit dem Gericht gedroht. „Ohne es wirklich ernst zu meinen“, wie Montag mutmaßt. Er ist sich sicher, dass die Union eigent- lich nur Rot-Grün vorführen wollte: Fischer als Angsthase. Wochenlang hatte Rot-Grün überlegt, was riskanter ist: ein schneller Fischer-Auftritt, bei dem er sich blamieren kann. Oder Fischers Schweigen, das seinen Gegnern, auch aus dem eigenen Auswärtigen Amt, die Gelegenheit bot, den Minister mit Kritik und Häme nur so zu überhäufen.

Nun aber, da Rot-Grün plötzlich selbst eine baldige Aussage Fischers vorschlägt, muss die Union zustimmen. Oder? CDU-Obmann Eckart von Klaeden beschwert sich zwar zunächst vehement über die rot-grüne „Erpressung“, zusammen mit der Fischer-Vorladung gleich den gesamten Terminplan bis zum Sommer festzulegen. Auch der normalerweise friedliche Kollege von der FDP, Max Stadler, regt sich auf. „Das war nicht in Ordnung, was sie heute gemacht haben“, wirft er Montag in einem Zwiegespräch am Rande vor. Ohne Vorwarnung einen solchen Vorschlag „auf den Tisch zu knallen“ entspreche nicht den Gepflogenheiten. „So ein vergiftetes Klima in einem Ausschuss habe ich noch nie erlebt“, schimpft Stadler.

Aber wegen des Streits um Umgangsformen und wegen Uneinigkeit über die Termine von vergleichsweise unbedeutenden Zeugen den lange geforderten Fischer-Auftritt verhindern? „Das wäre öffentlich nicht darstellbar“, räumt ein Unions-Stratege in einer Beratungspause ein. Der rot-grüne Überraschungscoup gelingt, die Union sagt Ja, nachdem sie ein paar Terminänderungen für Zeugen aus der zweiten Reihe durchgesetzt hat.

Vor allem Scholz, der leidgeprüfte Exgeneralsekretär der SPD, läuft stolz, mit taktischen Winkelzügen prahlend, durch die Gänge, als hätte er an diesem Tag persönlich den Fortbestand der Regierung bis in alle Ewigkeit gesichert. Scholz bläst die Backen auf und sagt, der „Luftballon“, den die Union mit dem Visa-Ausschuss in die Luft gejagt habe, werde sich nun als „leerer Sack“ erweisen, wenn Fischer komme.

Das ist natürlich nicht mehr als eine große Hoffnung. Niemand bei Rot-Grün ist sich wirklich sicher, ob Fischer nach dem 25. April wirklich besser dastehen wird als jetzt. Die unangenehmen Fakten über den Visa-Missbrauch und seine lange Tatenlosigkeit sind ja nicht plötzlich aus der Welt, nur weil er sich nun doch den Fragen des Herrn von Klaeden stellt. Und schon jetzt graut manchen Rot-Grünen insgeheim vor dem 8. Juli. Dann ist der Auftritt von Innenminister Otto Schily (SPD) vorgesehen, der Fischer nachweislich vor seiner Visa-Politik gewarnt hat.