: „Die Gewalttaten sind politisch“
In dieser Woche hat ein Dortmunder Skinhead einen Punk erstochen. Der Hamburger Sozialwissenschaftler Andreas Speit sieht eine Radikalisierung der rechten Szene
taz: Ein 17-jähriger Neonazi ersticht einen 31-jährigen Punk – ist das ein politischer Mord oder die verwirrte Tat eines Minderjährigen?
Andreas Speit: Das ist noch unklar. War es eine spontane, zufällige Begegnung? War sie heimtückisch geplant? In jedem Fall aber hat die politische Überzeugung die Gewalttätigkeit schneller hervorbrechen lassen.
Ein Einzelfall?
Es gibt ganz schreckliche Beispiele. In einer baden-württembergischen Kleinstadt haben Jugendliche einen Punk vor der Diskothek erstochen, das passierte vier Tage vor Weihnachten 2003.
Wer sticht zu?
Es gibt drei Tätergruppen: Die rechts motivierten Jugendlichen, die bei zufälligen Begegnungen, oft alkoholisiert, die Situation eskalieren lassen. Dann gibt es Gruppen, die ihre Opfer suchen, da wirkt eine spezielle Gruppendynamik. Die dritte ist hervorragend organisiert und bereitet zum Beispiel Brandanschläge vor. Gerade die zufälligen Begegnungen verlaufen immer gewalttätiger ab – und diese Vorfälle werden von der Polizei nicht als politische Vorfälle registriert.
Wird ihre Ideologie radikaler oder sitzt die Faust lockerer?
Beides. Ihre Ideologie schafft die Voraussetzungen für die Bluttaten. Selbst das Bundeskriminalamt hat festgestellt, dass die Neonazis besser organisiert sind, sie sammeln Geld für Auftritte, für Werbeaktionen. Der populäre Rechtsrock vermittelt, „Du bist ein Held wenn du zuschlägst“. Die Hemmschwelle sinkt.
Das Dortmunder Opfer war ein Punk. Sind nicht eher Ausländer die Zielscheibe?
Die typischen Neonazis haben viele Feindbilder: Das sind Ausländer, Punks, Kommunisten und Juden. Sie werden in jedem rechten Song beschimpft.
Rechte Gewalt ist nicht neu, fast jeden Monat wird vor einem Erstarken der Szene gewarnt. Wie kann das sein?
Das liegt an der Aufbereitung in den Medien. Große rechte Anschläge werden schnell wieder vergessen. Wer weiß heute noch etwas über die Ermordung von zwei Türken in Hamburg in den 80ern? Oder über den Sprengstoffanschlag in München? Trotzdem gilt: Die Masse ist breiter und jünger geworden.
INTERVIEW: ANNIKA JOERES
Ende April erscheint das Buch „Braune Kameradschaften – die militante Neonaziszene im Schatten der NPD“ von Andreas Speit und Andrea Röpke