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Archiv-Artikel

Selbstausbeuter mit Überblick

Rebellion, Surfen, Drogen – und sich nicht vor den Hauptstadtkarren spannen lassen: Der kleine, erfolgreiche Tropen Verlag ist von Köln nach Berlin umgezogen, um in die Stadt hineinzuwachsen. Ein Porträt des Übersetzers und Verlegers Michael Zöllner

VON JÖRG SUNDERMEIER

Er gibt Anthologien heraus. „Rebel Yell“ heißt die eine, die Texte von so unterschiedlichen Leuten wie Ulrike Meinhof, Pier Paolo Pasolini, Ilja Ehrenburg oder Sylvia Plath versammelt. „Der Haschisch-Club“ heißt eine andere, darin berichtet Henri Michaux von seinen Erfahrungen mit Meskalin, Walter Benjamin schreibt über Haschisch. In der Anthologie „Endloser Sommer“ schließlich bietet Michael Zöllner mit seinem Mitherausgeber Ralf Chudoba einen „literarischen Surftrip“ an, Betrachtungen von Mark Twain, Captain Cook oder Jack London über das Wellenreiten sind hier das Thema. Rebellion, Surfen und Drogen also. Zudem gibt es Platten im Verlagsangebot. Ist Michael Zöllner demnach ein typischer linker Verleger, der dem Rock ’n’ Roll verfallen ist?

Nein. Michael Zöllner ist ein umfassend gebildeter Literat. Er hat ein abgebrochenes geisteswissenschaftliches Studium, eine Ausbildung als Buchgestalter und ein Studium der Malerei hinter sich, auch als Übersetzer hat er reüssiert – die hiesigen Bucherfolge von Jonathan Lethem, dessen Roman „Die Festung der Einsamkeit“ im letzten Herbst gefeiert wurde, sind ohne den Übersetzer und Verleger Michael Zöllner nicht denkbar.

In Michael Zöllners noch recht jungem Tropen Verlag findet man zur Zeit nur Perlen neben Gold – Marcel Duchamp wird hier verlegt, Michel Butor und Wenedikt Jerofejew; Christine Angots Roman „Inszest“ ist von diesem Verlag zu einem Bestseller gemacht worden.

Das alles geschah bis vor kurzem von Köln aus. Nun ist Berlin neuer Verlagssitz. Wir treffen uns zum Verlegergespräch, Michael Zöllner, der mit rund 60 Titeln ein für seine ökonomischen Verhältnisse außerordentlich erfolgreicher Verleger ist, zeigt sich dabei neugierig auf den weitaus weniger erfolgreichen Kollegen, auf mich und meinen Verbrecher Verlag. Er schlägt einen Buchtausch vor, interessiert sich für Projekte und Neuerscheinungen. Und bald beginnt er, die Interviewsituation vollends umzudrehen, nun fragt er mich über meine Verlagserfahrungen aus, über Eindrücke und Meinungen. Michael Zöllner, ein charmanter 35-Jähriger, ist bei all dem weniger an Gerüchten und Klatsch interessiert. Er ist neu in Berlin, daher will er die Stadt schnell kennen lernen. Und zwar richtig. Und so sucht er, unaufdringlich, Kontakt.

Der Tropen Verlag wurde zunächst von Michael Zöllner allein betrieben, ein kleinster Kleinverlag, das Hobby eines Buchgestalters. Ab 1996 dann wurde er gemeinsam mit Christian Ruzicska und Leander Scholz gewissermaßen noch einmal neu gegründet – weswegen der Verlag jetzt offiziell achteinhalb Jahre alt ist. Ruzicska jedoch wandte sich bald dem Theater zu, Scholz selbst wurde zu einem erfolgreichen Autor, sodass Michael Zöllner die Geschäfte jetzt wieder allein führt – mit einem kleinen Team, das gemeinsam mit ihm nach Berlin mitgezogen ist.

In den Räumen im Prenzlauer Berg, die zuvor der Buchgestalter, Fotograf, Bühnenbilder und Brecht-Herausgeber Grischa Meyer benutzt hat, ist der Verlag seit einigen Wochen angekommen. Noch stehen hier und dort ein paar Umzugskartons herum, doch der Verlag hat schon längst wieder seine Arbeit aufgenommen. Taschenbuchrechte müssen verhandelt, Präsentationen vorbereitet und Neuerscheinungen vertrieben werden. Viel Platz zur Muße lässt dieses Leben nicht. Michael Zöllner erzählt, dass er bald endlich mal ein paar Tage für einen kurzen Urlaub nehmen werde – obwohl er sich in dieser Zeit an eine neue Übersetzung machen will.

Die neuen Räume habe er gefunden, als er sich mit dem befreundeten Verleger Andreas Rötzer zum Plaudern getroffen habe. „Nach einer Flasche Wein sagte er: Ich habe da was für dich“, und führte ihn zu Meyer. Für Michael Zöllner ein entscheidendes Erlebnis. Denn es geht ihm nicht etwa darum, sich Berlin blind zu erobern, wie es so viele, die aus anderen Städten in die Hauptstadt wechseln, tun wollen, er möchte in die Stadt hineinwachsen – daher sein Interesse für Literaten und Künstler, für Gebäude und Kieze.

Warum Berlin? Michael Zöllner lacht. Denn diese Frage camoufliert zumeist die Frage: Warum nicht mehr Köln? Doch seine Antwort ist eine pragmatische. Die Verträge für das alte Kölner Büro – „ein sanierungsbedürftiges Haus, in dem nur noch unser Büro war, ein eigenes Verlagshaus sozusagen“ – wurden überraschend nach der letzten Buchmesse gekündigt, und die Mieten in Köln sind bekanntermaßen hoch. Daneben bot sich ein Umzug an, da ein Großteil der Freunde Michael Zöllners – Theaterleute und Galeristen – ebenfalls die Stadt verlassen hatten. Michael Zöllner hat sich also nicht gegen eine Stadt, sondern für eine andere entschieden.

Die Vorteile, die der Umzug mit sich bringt, verhehlt er nicht. Agenten und Autoren seien nun viel einfacher erreichbar, da ja nahezu jeder mindestens einmal im Jahr in Berlin sei. Diesen Vorteil habe Köln nicht geboten. Doch über solche pragmatischen Fragen hinaus zeigt er sich nicht vom Hauptstadtwahn infiziert. „Berlin-Hype – gibt es den überhaupt noch?“ fragt er. Dementsprechend wird die Stadt auch nicht erwarten können, dass sein „erfolgreicher junger Verlag“, wie der Tropen Verlag von Spiegel bis FAZ heißt, sich vor den Hauptstadtkarren spannen lässt.

Der Umzug nach Berlin vereinfacht vielleicht einige Geschäftsgespräche, doch einen zunehmenden Erfolg erwartet er deshalb nicht. „Unser Hauptabsatzgebiet ist zwar der Norden“, sagt er, doch er kann nicht erklären, warum. Ob ein Verlag nun in Köln oder in Berlin sitze, beeinflusse das jedenfalls nicht.

Noch ist es nicht so, dass der Tropen Verlag seinen Verleger reich gemacht hat. „Selbst mittelgroße Verleger können oft nicht allein von ihren Buchverkäufen leben“, weiß Michael Zöllner, der daher auch nicht zu Größenwahn neigt. Über Kredite und Hypotheken denkt er jedenfalls ebenso wenig nach, wie über Geldgeber, die als Quasimäzene in den Verlag einsteigen. Daher wächst der Tropen Verlag, bei allem Erfolg, auch nur in kleinen Schritten. „Ich will es so halten“, sagt er, „dass ich immer sagen kann: Es reicht. Und ich möchte auch den Überblick behalten, damit das so bleibt.“ Während er das sagt, sieht man, dass er diesen Schlusspunkt selbst nicht voraussieht. Er nimmt sich lediglich die Freiheit, pragmatisch zu sein.