Bau-Sklaven wagen Aufstand

Auf mehr als 20.000 nordrhein-westfälischen Baustellen wird illegal geschuftet. Gegen die Ausbeutung rumänischer Bauarbeiter auf einer Essener Baustelle läuft jetzt eine Musterklage

VON MIRIAM BUNJES

35 Euro für zehn Stunden Arbeit. Dafür waren sie aus Rumänien nach Essen gefahren, dafür lebten sie seit einem halben Jahr in Baracken, fern von ihren Familien und bauten am neuen Gebäude für die Essener Staatsanwaltschaft. „Für Bauarbeiter aus Osteuropa ist 3,50 Euro eine Menge Geld“, sagt Manfred Meier, Gewerkschaftssekretär der Industriegewerkschaft Bauen Umwelt Agrar (IG BAU) im Bezirk Mülheim-Essen-Oberhausen. „Und natürlich hat sie ihr Auftraggeber nicht darüber informiert, dass sie in Deutschland mindestens dreimal so viel verlangen können und sogar müssen.“

Als die Zoll-Spezialabteilung „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ vergangene Woche auf der Essener Baustelle auftauchte, endete der Arbeitseinsatz abrupt. Der Bauherr, die Dortmunder Baufirma Wiemer & Trachte, kündigte den Werkvertrag mit der rumänischen Firma Constant-Bau und schickte die 17 Rumänen von einem Tag auf den anderen nach Hause. „Es hat sich bestätigt, dass der Mindestlohn nicht gezahlt wurde“, bestätigt Zollsprecher Ernst Bayer. Wiemer & Trachte schweigt zu den Vorwürfen.

Osteuropäer von Subunternehmern zu Dumping-Löhnen zu beschäftigen, ist zum Klassiker der Baubranche geworden. Mehr als 20.000 ähnliche Fälle hat die Finanzkontrolle Schwarzarbeit im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen ermittelt. Meier schätzt, dass allein im Ruhrgebiet 600.000 illegal beschäftigte Wanderarbeiter arbeiten. Sie arbeiten für Dumping-Löhne, schieben Marathon-Schichten und werden auch öfter mal gar nicht bezahlt. „Die Arbeiter werden durch ein gut funktionierendes Angstsystem ruhig gehalten“, sagt er. „Wer sich beschwert, mehr Geld fordert oder weniger arbeiten will, landet schnell auf einer schwarzen Liste und wird von Subunternehmern in seiner Heimat gar nicht erst eingestellt.“

Die Bauarbeiter-Gewerkschaft spricht deshalb inzwischen von „modernem Sklavenhandel“. „Natürlich schadet Schwarzarbeit auch den deutschen Arbeitnehmern, weil sie durch die Billigkonkurrenz ihre Arbeitsplätze verlieren“, sagt Manfred Meier. Doch die Arbeiter aus Osteuropa seien schlimmer dran: „Für die ausländischen Kollegen ist die Arbeitssituation unerträglich.“

Zusammen mit dem Europäischen Verband der Wanderarbeiter will die IG BAU jetzt den fehlenden Lohn für die rumänischen Bauarbeiter einklagen. Es gehe dabei um etwa 200.000 Euro, so Agnes Jarzyna von der Wanderarbeiter-Gewerkschaft. Peanuts für eine große Baufirma. Dem Gewerkschafter geht es jedoch auch ums Prinzip. „Ein entsprechendes Gerichtsurteil würde Arbeitgebern zeigen, dass auch die osteuropäischen Arbeiter für ihre Rechte kämpfen und von einem deutschen Gericht Recht bekommen können.“

Wenn sich die 17 Rumänen denn trauen, vor Gericht auszusagen. Noch kurz vor ihrer Abreise sei massiv auf sie eingeredet worden, hatten die Gewerkschafter erfahren. Außerdem hätten sie ein schnelles Taschengeld erhalten.

Genauso werden häufig Zeugen außer Land und zum Schweigen gebracht, sagt Ines Graf von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Trotzdem konnten die 1.000 Zollbeamten aus NRW rund 22.000 Verfahren wegen der Beschäftigung von Schwarzarbeitern anregen – und fast 104 Millionen an hinterzogenen Steuern wieder eintreiben. Bei den Kontrollen würden jedoch nur ein minimaler Teil der kriminellen Unternehmer erwischt, kritisieren Gewerkschafter.

Und auch die neue Initiative der Landesregierung (taz berichtete) zur Kontrolle der Arbeitsschutzregelungen auf Baustellen sei ausbaufähig. „Bis jetzt wird nur an der Spitze des Eisbergs gearbeitet“, sagt Gewerkschafter Meier. „Vielleicht wird durch die Klage neuer Druck aufgebaut.“