: Kein UFO über Hamburg
Mit dem ersten Saisonspiel wurde dem Produkt Hamburg Sea Devils Leben eingehaucht. Gegen die Cologne Centurions verlor man das erste Spiel in der geklonten American Football-Welt unglücklich
von CHRISTIAN GÖRTZEN
Als sie mit der Seele des ehrgeizigen Projektes – fünfzig Kraftpaketen mit festem Blick, ausladenden Schulterpolstern und gitterbewehrten Helmen – konfrontiert wurde, lief Kathrin Platz ein angenehmer Schauer über den Rücken. Bis zu jenem Augenblick im Trainingslager in Tampa/Florida Mitte März war für die 39 Jahre alte Geschäftsführerin der Hamburg Sea Devils, dem neuen Mitglied der europäischen American-Football-Liga (NFL Europe), alles bloß ein konturenarmes Konstrukt aus Zahlen, Fakten und Namen gewesen. Von einer Sekunde zur nächsten änderte sich das. „Ich stand vor unseren Jungs und blickte in ihre Gesichter“, sagt sie. „Bis dato wurde immer nur von dem Produkt Sea Devils gesprochen. Plötzlich ist es da und lebt – das hat einen zusätzlichen Kick gegeben.“
Neue Motivation für eine Aufgabe, die aller Voraussicht nach nicht so einfach zu bewältigen sein wird. Kathrin Platz, ehemalige Geschäftsführerin der Frankfurter Rennbahn, hat sich dem ambitionierten Ziel verschrieben, American Football der außeramerikanischen Spitzenklasse in Hamburg zu etablieren. „Wir sind nicht die x-te Sportart, die sich etwas von dem Kuchen holen will“, beteuert die gebürtige Stuttgarterin. American Football besitze eine eigene Identität und komme schon von daher den Vereinen anderer Sportarten nicht in die Quere.
Hamburg ist die neue, vielleicht letzte Hoffnung der amerikanischen National Football League (NFL). Die Teambesitzer und Geldgeber der mächtigen, 32 Klubs umfassenden US-Mutter werden im Herbst darüber befinden, wie es mit der europäischen Tochter nach der 13. Saison weitergeht. Im vergangenen Jahr hatte die Dachorganisation NFL für das aufgelaufene Defizit der NFL Europe für 15 Millionen Dollar geradezustehen.
Dass die Hamburg Sea Devils, die am Sonnabend ihr Auftaktspiel bei den Cologne Centurions nach einem umstrittenen Ende unglücklich mit 23:24 verloren haben, überhaupt auf der sportlichen Bildfläche erschienen sind, ist in dem nachlassenden Interesse der britischen Football-Neugierigen an den Scottish Claymores begründet. Als sich abzeichnete, dass sich die Zuschauerzahlen in Glasgow auf dem niedrigen Niveau von annähernd 10.000 einpendelten, reagierte der NFL Europe Managing Director Jim Conelly und beschloss die Aufgabe des Standortes Glasgow sowie den Transfer des Teams nach Hamburg.
Bereits in den Jahren zuvor hatte das muntere Verschieben von Vereinen eingesetzt, einem kontinentalen Schachspiel gleich. Teams aus England und Spanien wurden aus Gründen der wirtschaftlichen Ertragsarmut nach Deutschland verlagert. In der Mitte Europas soll, so das Kalkül der NFL Europe, eine Konzentration der Kräfte entstehen, die irgendwann einmal ihre Energie auf die Nachbarländer abstrahlt. Mittlerweile sind fünf der sechs NFLE-Vereine in Deutschland ansässig – lediglich die Amsterdam Admirals sorgen mit ihrer Existenz dafür, dass der europäische Anspruch der NFLE nicht ad absurdum geführt wird. Die Admirals reagierten mit einem Mix aus Selbstironie und Sarkasmus auf ihr Dasein als Farbtupfer. „Holland ist nicht das 17. Bundesland“ lautet ihre Identität stiftende Kampagne zum Start der NFLE.
Kontinuität hat es in der europäischen Liga – bis auf die Ausnahme Frankfurt Galaxy, dem einzig verbliebenen Gründungsmitglied – nie gegeben. Die England Monarchs wurden 1999 zu den Berlin Thunder, die Barcelona Dragons im vergangenen Jahr zu den Cologne Centurions. Dass im Schnitt 12.000 Zuschauer zu den fünf Spielen der Centurions ins Kölner RheinEnergieStadion wanderten, gilt im Vergleich zu den jämmerlichen Zahlen der Barcelona Dragons, die zuletzt nur noch rund 4.000 Zuschauer in ihre Arena lockten, bereits als Gewinn. „Es ist für jedes Sportteam in diesem Markt eine hervorragende Leistung, einen Zuschauerschnitt von 11.000 zu erreichen“, sagte Conelly zum Ende der vergangenen Saison.
Im ersten Jahr mag eine solche Besucherzahl noch akzeptabel sein, ein Verharren auf dem Status quo zieht jedoch über kurz oder lang ein Scheitern des Projekts, wie zuletzt in Glasgow, nach sich. In Hamburg wird das nicht anders sein. „Ich bin zuversichtlich, dass wir pro Partie zwischen 15.000 und 30.000 Zuschauer in der AOL-Arena begrüßen werden. Aber selbstverständlich ist im operativen Geschäft zunächst keine schwarze Null zu erwarten“, sagt sie.
Um nicht schon vor dem ersten Heimspiel gegen Düsseldorf Rhein Fire am 16. April Gefahr zu laufen, in Hamburg als gieriger Neuankömmling zu erscheinen, sind die Sea Devils eine Kooperation mit den Hamburg Blue Devils, einem traditionsreichen Mitglied der deutschen Football-Liga (GFL) mit eigenen Jugendteams, eingegangen. Die Ähnlichkeit der Namen ist beabsichtigt, sie soll einen fließenden Übergang der Fans von einem Verein zum anderen fördern.
„Wir sind eher der Partner als der große Bruder, wollen den Blue Devils nichts wegnehmen. Beide Seiten werden von den synergetischen Effekten profitieren“, entgegnet Kathrin Platz Kritikern, die bei dem Zusammenspiel von einer mehr oder weniger freundlichen Übernahme sprechen. Dem Image der Sea Devils, deren Spieler für den Zeitraum der elfwöchigen Saison in einem Hotel einquartiert sind und danach – sportlichen Söldnern gleich – wieder in die USA zurückreisen, dürfte die Kooperation mit den Blue Devils dienlich sein. „Wir haben jetzt eine Verwurzelung nach unten“, sagt Kathrin Platz stolz. „Wir sind also kein Ufo, das über der Stadt schwebt.“