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Archiv-Artikel

Mehr Bürger, weniger Staat?

„Nur zu!“ meint Sozialstaatsrat Arnold Knigge. Damit antwortet er auf die in der taz veröffentlichten Thesen von Alexander Künzel, dem Chef der Bremer Heimstiftung. Die Türen stünden offen

Aber: Die Bürgerstadt Bremen darf die soziale Stadt Bremen nicht verdrängen

Bremen taz ■ Reduziert man Alexander Künzels Thesen auf ihren eigentlichen Kern, die Verantwortung des Einzelnen in ein vernünftiges Verhältnis zu sozialstaatlicher Daseinsvorsorge zu bringen, dann kann ich dem nur zustimmen. Aber was ist daran so neu?

In Bremen wird Eigenverantwortlichkeit spätestens seit Ende der 90er-Jahre sozialpolitisch eingefordert. Aktivierendes Fallmanagement für Arbeitslose wurde unter Senatorin Hilde Adolf entwickelt und von Karin Röpke weitergeführt. In allen Sparrunden der letzten Jahre hatten Selbsthilfe und bürgerschaftliches Engagement absolute Priorität – und auch in dem Arbeitsbereich der Bremer Heimstiftung haben eigenverantwortliche Lebensentwürfe hohen Stellenwert. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Anteil älterer Menschen in den stationären Einrichtungen Bremens geringer ist als in anderen Großstädten. Bremen verfügt über ein ausgezeichnetes System des betreuten und des Service-Wohnens und öffnet sich neuen Modellen der Haus- und Wohngemeinschaften älterer Menschen aktiv. Wenn das Plädoyer von Alexander Künzel so zu verstehen ist, dass die Bremer Heimstiftung hier künftig neue Schwerpunkte setzen will – nur zu, die Türen sind weit geöffnet.

Offenheit gilt auch in der Kindertagesbetreuung, wo Elternmitwirkung besonders bei den bis 3-jährigen Kindern hohen Stellenwert hat. Zahlreiche Elternvereine organisieren die Betreuung ihrer Kinder zu einem großen Teil selbst – mit geringeren Zuschüssen der Stadt. Beim bedarfsgerechten Ausbau der Krippenplätze bis 2010 wird es weitere Anreize geben, damit Eltern sich noch stärker einbringen.

Auch bürgerschaftliches Engagement wird in Bremen groß geschrieben. Seit Jahren wird die Freiwilligenagentur unterstützt und mit der Gründung der Bürgerstiftung und der Kinder- und Jugendstiftung hat der Senat vor Jahren wichtige Signale gesetzt. Sicherlich müssen bürgerschaftliche Aktivitäten in der Bürgerstadt kräftiger unterstützt werden als bisher. Aber: Bürgerschaftliches Engagement kann nicht Ersatz, sondern nur Ergänzung notwendiger sozialer Dienstleistungen sein. Es darf keinesfalls für den Rückzug aus notwendigen sozialen Dienstleistungen missbraucht werden. Die Bürgerstadt Bremen darf die soziale Stadt Bremen nicht verdrängen. Sie ist die logische Ergänzung einer auf Beteiligung und Eigenverantwortung ausgelegten städtischen Daseinsvorsorge.

Wer die Bürgerstadt will, muss die Grenzen bürgerschaftlichen Engagements klar sehen: Noch so gut gemeinte Angebote können staatliches Handeln in weiten Bereichen nicht ersetzen. Vor allem die wachsende Zahl allein lebender älterer Menschen braucht – neben nachbarschaftlichen Hilfen und neuen Formen selbständiger Versorgung – staatliche Angebote an ambulanter oder stationärer Versorgung. Und auch bei den Hilfen zu Erziehung stoßen Selbsthilfe und Eigenverantwortung sehr schnell an Grenzen mangelnder oder fehlender elterlicher Erziehungskompetenz. Einem vernachlässigten 7-jährigen Kind hilft der Appell an die notwendige Eigenverantwortung seiner Eltern nicht weiter. Modelle für bürgerschaftliches Engagement sind in diesem Bereich nicht erkennbar. Hier bleibt der Staat gefordert.

Klar, dass allein die Bereitstellung dieser Dienste nicht die soziale Stadt ausmacht, die auch Alexander Künzel befürwortet. Ebenso wenig ist die stärkere Professionalisierung von sozialen Diensten dafür der einzige Ansatz.

Zur sozialen Stadt gehört neben eigenverantwortlichem und bürgerschaftlichem Handeln eine umfassende Beteiligungskultur in sozialen Einrichtungen. Hier bedarf es immer wieder neuer Anstöße, etwa über Heimbeiräte in der Altenhilfe oder eine stärkere Elternmitsprache und mitwirkung in den Kindertagesheimen. Und hier bedarf es der ständigen Pflege und des weiteren Ausbaus der schon entwickelten Beteiligungsprozesse, etwa im Bereich der stadtteilorientierten Kinder- und Jugendförderung oder im Rahmen vorhandener Programme des Quartiers- und Stadtteilmanagements, wie dem Programm „Wohnen in Nachbarschaften“. Jeder Mann und jede Frau sind eingeladen, die vorhandenen Pflanzen zu pflegen und neue zu setzen. Die soziale Stadt Bremen ist keinesfalls allein eine staatliche Veranstaltung, sondern muss von den BürgerInnen aktiv mitgestaltet werden.