der bart bleibt hier von RALF SOTSCHECK
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Überfälle auf Geldtransporter gehören längst zum Alltag in Irland. In den vergangenen zwei Jahren wurden mehr als als hundert gepanzerte Fahrzeuge und frisch gefüllte Geldautomaten auf der Grünen Insel geknackt. Die Angestellten der privaten Sicherheitsfirmen, die ein ums andere Mal düpiert werden, lassen sich davon nicht beirren: Sie trinken erst mal Kaffee, wenn sie das Depot mit ihrer wertvollen Ladung verlassen haben.

Das hat sich längst in der Unterwelt herumgesprochen, und so warteten zwei bewaffnete Männer vorigen Mittwoch an der Dubliner Tankstelle, an der die Angestellten der Sicherheitsfirma ihren Kaffee zu trinken pflegen. Die mussten, koffeinfrei, ihren Geldtransporter zu einem nahe gelegenen Fußballplatz fahren, wo drei weitere Mitglieder der Bande im Auto warteten. Im Handumdrehen waren 2,4 Millionen Euro umgeladen. Die ganze Aktion dauerte kaum eine Viertelstunde.

Zwei Wochen zuvor hatte sich eine andere Bande, die über die Kaffeevorliebe der Sicherheitsleute offenbar nicht Bescheid wusste, mehr Mühe gemacht und deren Familien als Geiseln genommen. Die Fahrer mussten am nächsten Tag den Geldtransporter am Stadtrand Dublins auf einem Parkplatz abstellen und das Geld – 2,2 Millionen Euro – in einen Müllcontainer hinter einer Kneipe werfen.

Meine Freunde Jeannette und Martin besitzen ein Haus auf einem Wassergrundstück am Fluss Liffey, keine 50 Meter von dem besagten Parkplatz entfernt. Martin, ein pensionierter Mathematikprofessor, machte sich morgens, wie so oft, mit zwei leeren Weinflaschen und dem Hund Ben auf den Weg zur nahe gelegenen Hauptstraße. Dort freute er sich über den Berufsverkehr, mit dem er nichts mehr zu tun hatte, und stellte die beiden Weinflaschen zum Leergut neben den Müllcontainer hinter der Kneipe „Angler’s Rest“.

Eine halbe Stunde später hatte die Polizei Martins Haus umstellt. Drei Polizeischäferhunde hielten Ben in Schach, während vier Beamte in Taucheranzügen in die Liffey sprangen. Eine Frau, die im Berufsverkehr am „Angler’s Rest“ im Stau stand, hatte Martin beschrieben, was nicht sonderlich schwer war, denn er hat den größten und grauesten Backenbart Dublins. Einmal hatte Martin als Komparse in einem Charles-Dickens-Film mitgespielt. Beim Verlassen des Studios hielt ihn der Pförtner auf, riss an dem Backenbart und schrie: „Der Bart bleibt hier! Der gehört der Filmproduktion.“

Die Frau im Stau hatte ausgesagt, dass der Backenbärtige vermutlich ein Anwohner sei, weil er einen Hund und zwei leere Weinflaschen bei sich hatte. Aber sie hatte noch einen zweiten Mann in einem weißen T-Shirt gesehen, der ein Stück hinter Martin lief und ihrer Meinung nach kein Anwohner war, da er kein Wort mit Martin wechselte. Der hatte den T-Shirt-Träger, der offenbar zur Räuberbande gehörte, aber gar nicht bemerkt, was die Polizei misstrauisch machte. Zwei Tage lang war die Gegend abgeriegelt, Martin und Jeannette waren in ihrem Haus gefangen. Dann entschied die Polizei, dass Martin harmlos sei. Die Staufrau bestätigte, dass er kein Paket aus dem Müllcontainer genommen hatte. Über dieses Versäumnis ärgert sich Martin immer noch.