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Archiv-Artikel

Ist bemannte Raumfahrt Geld- verschwendung?JA

ABENTEUER Nächsten Dienstag wird es 40 Jahre her sein: Am 21. Juli 1969 betrat der erste Mensch den Mond

Petra Sitte, 48, ist Vizechefin und forschungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag

Die exorbitanten Kosten stehen in keinem Verhältnis zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Die bemannte Raumfahrt begann mit dem Sputnikschock. Auch jetzt liefern sich Russland, China und USA einen Wettlauf um die Vorherrschaft im All. Sie planen bemannte Mondmissionen und -stationen. So will auch Deutschland nicht nur in der interplanetaren Kreisliga spielen. Die Bundesregierung plant eine unbemannte Mondmission für 350 Millionen Euro. Und der Mond dient als Trainingslager für den Mars. Hierzulande werden 3,65 Milliarden in Raumfahrttechnologien und 2,7 Milliarden in die Europäische Weltraumagentur investiert. Der Bundesregierung geht es um die Behauptung wirtschaftlicher und technologischer Stärke, um die Behauptung als Weltraummacht. Auch wenn wir Juri Gargarin, Sigmund Jähn oder Neil Armstrong bewundert haben, lehnt Die Linke die bemannte Raumfahrt ab. Derzeit sollte sich Deutschland nicht an nichtwissenschaftsgeleiteten Missionen beteiligen. Ins Blickfeld müssen zum Beispiel Erkenntnisse zu Ozeanströmen rücken. Dafür genügen satellitengestützte zivile Erdbeobachtungssysteme.

Peter Hettlich, 50, ist bei der Grünenfraktion im Bundestag für Raumfahrt zuständig

Seit der Mondlandung von Armstrong und Aldrin vor 40 Jahren haben wir vor allem eine Erkenntnis gewonnen: Die Kosten der bemannten Raumfahrt übertreffen ihren Nutzen bei weitem, und dem technologischen Fortschritt haben sie wenig gedient. Das heute fliegende Material ist auf dem Stand der Siebzigerjahre, die Bordcomputer sind geradezu steinzeitlich, aber wenigstens zuverlässig. Das Flagschiff ISS hat bis heute mindestens 100 Milliarden Dollar verschlungen und liegt im Zeitplan weit hinten. Es ist ein Fass ohne Boden mit zu geringem wissenschaftlichen Output, denn eine Stammbesatzung von sieben Astronauten wurde bis heute nicht erreicht. Dagegen verdanken wir den unbemannten Erderkundungs- und Wissenschaftsmissionen, den interplanetaren Sonden oder dem „Venus Express“ eine Flut an wichtigen Daten und zum Teil sensationellen Erkenntnissen. Sie sind jeden Cent wert. Künftige Missionen dieser Art wären aber vom Aus bedroht, wenn kostspielige bemannte Mond- oder Marsexpeditionen von der Europäischen Weltraumbehörde weiterverfolgt und unterstützt werden. Die bemannte Raumfahrt in der jetzigen Form ist eine hoffnungslose Sackgasse, die Zukunft gehört unbemannten Missionen.

Ute Hausmann, 35, ist Geschäftsführerin der Organisation Fian, für Recht auf Nahrung

„Für die Erde ins All“ möchte die deutsche Regierung laut ihrer Hightech-Strategie. Satelliten und Raumfahrt helfen, besser zu beobachten, was auf der Erde passiert – wo die Umwelt zerstört wird, wo Katastrophen zu Menschenwanderungen führen und wo in der Folge die Sicherheit in Gefahr ist. Die Eroberung des Weltalls wird angesichts einer Milliarde hungernder Menschen und der Klimaerwärmung auch immer attraktiver. Doch wer heute mutig ist, stellt sich nicht der Herausforderung Weltraum, sondern der Herausforderung Erde. Hier bedingt der Klimawandel dramatische Ernteausfälle. Es müssen zum Beispiel mehr öffentliche Gelder in die Verbesserung der Methoden im Bioanbau investiert werden, damit wir uns aus der Abhängigkeit von Agrochemikalien und fossilen Brennstoffen lösen können. Kleinbäuerinnen müssen Unterstützung erhalten, um sich und ihre Familien heute und in Zukunft ernähren zu können. Wer für die Erde ins All fliegt, um sich den Überblick zu verschaffen, sollte immer auf den Boden der Tatsachen zurückfinden.

NEIN

Prof. Hans-Joachim Blome, 58, Astrophysiker, forschte bei der Nasa und beriet die ESA

Die Erforschung des Kosmos ist Grundlagenforschung. Wir möchten wissen, woher wir kommen und gehen und was es mit dem Universum, in dem jeder von uns eine kurze Zeitspanne lebt, auf sich hat. Alle Erfahrung hat gezeigt, dass die Ergebnisse der Grundlagenforschung den Humusboden bilden, um Innovationen und technische Entwicklungen in Gang zu setzen. Die dabei gewonnene technische Problemlösungskompetenz qualifiziert PhysikerInnen und IngenieurInnen auch für andere Aufgaben. Expeditionen der bemannten Raumfahrt haben in besonderem Maße Vorzeigecharakter und faszinieren gerade auch sehr junge Menschen. Ehemalige Kommilitonen von mir – Studienbeginn 1969 – wurden so zum Physikstudium motiviert, einige sind heute auch Hochschullehrer. Ein nicht zu vernachlässigender Kollateralnutzen! Und das Geld bleibt auf der Erde. Raumfahrttechnologie für die Erkundung des Sonnensystems – unbemannt und bemannt – erhält die technische Kompetenz von IngenieurInnen und NaturwissenschaftlerInnen in Industrie und Hochschulen und ist im Unterschied zur Rüstungstechnologie nicht destruktiv ausgerichtet. Jede kritische Anfrage zum finanziellen Aufwand für die Raumfahrt sollte im Kontext anderer Geldausgaben und -verschwendungen gesehen werden, zum Beispiel dem weltweiten Aufwand für Kriegstechnologie von über 100 Billionen US-Dollar. Hunger und Unterdrückung lassen sich nicht mit Geld allein – zum Beispiel in der Raumfahrt eingesparten Investitionen – lösen, sondern erfordern eine Änderung unseres Bewusstseins. „Das Bemühen, das Universum zu verstehen, ist eines der ganz wenigen Dinge, die das menschliche Leben ein wenig über die Stufe einer Farce erheben“ – so formulierte es Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg. Mit Astronomie und Raumfahrt, möchte ich einfügen.

Paul Janssen, 28, arbeitet als 3-D-Grafiker in Berlin und hat seinen Beitrag auf taz.de gestellt

Natürlich ist bemannte Raumfahrt ein Prestigeprojekt. Aber wenn wir uns an die Raumfahrteuphorie aus den Sechzigern erinnern, scheinen mir ebendiese Prestigeprojekte die einzige Möglichkeit zu sein, eine breite Öffentlichkeit für den Weltraum zu interessieren. Und ich bin der Meinung, dass ein Paradigmenwechsel von der unüberschaubaren Größe der Erde zur Wahrnehmung der Tatsache, dass wir alle auf einem kleinen Staubkorn in der Unendlichkeit leben, ein wesentlicher Aspekt unserer gesellschaftlichen Weiterentwicklung ist – von territorialem Hickhack zu einer Menschheit, die an einem Strang zieht, wissend, dass wir ohne Weiteres in der Lage, ja sogar auf dem besten Weg sind, unseren Planeten zu Grunde zu richten. Und welchen besseren Weg gibt es, ein Gefühl für die Zerbrechlichkeit unseres Lebensraumes zu entwickeln, als ihn in all seiner Endlichkeit überblicken zu können?

Martin Netter, 49, hat die weltweit größte Ausstellung von „Star Trek“-Originalrequisiten

Wie soll es weitergehen, wenn ein Leben auf dem Planeten Erde nicht mehr möglich ist? Durch die bemannte Raumfahrt könnten wir neue Lebensräume im Weltraum finden. Das würde das Überleben der Menschheit sicherstellen. Das geht aber nur, wenn wir die bemannte Raumfahrt konsequent vorantreiben. Wo stünden wir heute ohne die Forscher der Vergangenheit und der Zukunft? Genau wie Captain Kirk und Mr. Spock mit der „USS Enterprise“ müssen wir immer wieder aufbrechen. In die unendlichen Weiten des Weltraums, zu neuen Zivilisationen, dorthin, wo nie zuvor ein Mensch gewesen ist. Geld sollte hier keine Rolle spielen.