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Archiv-Artikel

Flucht vom Feuerberg

SPD und GAL beantragen Untersuchungsausschuss zum geschlossenen Heim für straffällige Jugendliche. Laut Akteneinsicht hat Behördenleitung auf Hilferufe der Mitarbeiter nicht reagiert. Die Folge: 20 Kündigungen und hoher Krankenstand

Von Kaija Kutter

In trauter Eintracht stellten SPD-Fraktionschef Michael Neumann und seine GAL-Kollegin Christa Goetsch gestern im Rathaus den Antrag auf einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum geschlossenen Heim in der Feuerbergstraße vor. Die CDU, so Neumann, habe vor zwei Jahren „den Mund sehr voll genommen“, nun aber stelle sich heraus, dass ihr Konzept zu „schlimmen und furchtbaren Ergebnissen“ führe.

Die Einsichtnahme in die Akten habe „katastrophale Zustände“ im Heim aufgedeckt, ergänzte Goetsch. Dabei stelle sich auch die Frage, ob Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) und ihre Behördenleitung der „Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitern“ nicht nachkam. SPD-Politiker Thomas Böwer, der als Obmann für seine Fraktion im PUA sitzen wird, nannte dafür mehrere Hinweise aus den Akten.

So habe im Juni 2004 Klaus-Dieter Müller, Leiter des Landesbetriebes Erziehung und Berufsbildung (LEB), in einer E-Mail an das Amt für Jugend erklärt, es sei für ihn „schwer verantwortbar“, der ihm unterstehenden Heimleitung „die Verantwortung für das Geschehen vor Ort zuzumuten“. Laut Aktenlage hatte sich in dieser Zeit die Zahl der gewaltsamen Vorfälle gegenüber dem Vorjahr verachtfacht (taz berichtete). Dienstvorgesetzter war bis zum 31. Dezember 2004 Staatsrat Klaus Meister. Doch dieser habe nicht reagiert, so Böwer, als auch der Leiter des Jugendamtes, Wolfgang Hammer, im Sommer 2004 vor einer Eskalation warnte.

Die Jugendlichen, so sei dem E-Mail-Verkehr zu entnehmen, hätten gar gedroht, in dem Heim die Herrschaft zu übernehmen, auch von Drogen und Waffen ist laut Böwer die Rede. Hammer bat den Staatsrat damals um die politische Entscheidung, die Jugendlichen wieder ins Freigelände zu lassen. Meister habe darauf geantwortet, dies sei eine Frage des „operativen Geschäfts“. Böwer: „14 Tage später sind drei Jugendliche entwichen.“ Die insgesamt 35 Entweichungen seien aber nur „die Kirsche auf der Sahnetorte“. Eigentliches Problem sei der Tagesablauf im Heim. So vergehe kaum eine Woche ohne Gewaltvorfall oder Selbstverletzung.

Die GAL-Abgeordnete Christiane Blömeke bemerkt, dass es eine sehr hohe Fluktuation unter den Mitarbeitern gebe. So gab es in zwei Jahren 20 Kündigungen unter den 36 Beschäftigten. Von diesen wiederum gab es im gleichen Zeitraum 2.270 Krankentage, wobei ein Mitarbeiter komplett ausfiel. Doch der Bitte einer Psychologin, für bessere räumliche Bedingungen und Personalausstattung zu sorgen, sei nicht nachgekommen worden. Die Frau kündigte.

Monatelang, so Böwer, hätten die Senatorin und die CDU das Heim ohne psychologische Begleitung gelassen. Infolgedessen habe die Wachfirma „Securitas“ die Betreuung übernehmen müssen: In den Akten findet sich ein Schriftwechsel, in dem die Firma beklagt, sie werde mit den Jugendlichen allein gelassen.

Der PUA, der unter CDU-Vorsitz voraussichtlich im Mai seine Arbeit aufnimmt, kann nun alle diese Mitarbeiter als Zeugen laden. Die Sozialbehörde selbst nimmt laut Sprecher Rico Schmidt im gegenwärtigen Stadium keine Stellung, „um dem Informationsbedürfnis der Bürgerschaft nicht vorwegzugreifen“. Der CDU-Jugendpolitiker Marcus Weinberg nannte den PUA „überflüssig und rein kampagnengeleitet“.