Die Signatur ein freudianisches „es“

Der Schriftsteller Arno Schmidt bezeichnete ihn als den „größten Illustrator des Jahrhunderts“: Jetzt würdigt Wolfgang Schneider den Maler Eberhard Schlotter erstmals in einer Monografie. Die hagiografische Sekundärliteratur überkandidelter Schmidtianer musste er in vielen Fußnoten revidieren

VON JAN SÜSELBECK

Wer ist Eberhard Schlotter? Selbst Kunstkenner können den Namen oft nicht einordnen. Damit nicht genug: Ein Großteil der wenigen, die ihn schätzen, gehört zur seltsamen Spezies der Arno-Schmidt-Leser. Einer von ihnen ist der Konkret-Redakteur Wolfgang Schneider. Fünf Jahre lang hat er in seiner Freizeit an einer voluminösen Studie über den heute 84-jährigen Künstler gearbeitet.

Nicht ohne Stolz spricht Schneider von dem Band als „seinem Schlotter“. Erstmals macht er darin den Versuch, das abwechslungsreiche Werk des Malers vorzustellen, und zwar „mit der Gründlichkeit, die es verdient“. Obwohl sich Schneider laut Untertitel auf das „späte Werk“ Schlotters kapriziert, bietet er auch eine kleine Tour d’horizon durch die (deutsche) Kunstgeschichte nach 1945.

Er durchforstet Schlotters Schaffen akribisch nach seinen Beeinflussungen und Grundmotiven – von den frühen Bildern der Fünfzigerjahre bis hin zur Betrachtung der aktuellsten Werke des nach wie vor aktiven Künstlers. Ein großer Tafelteil im hinteren Drittel des luxuriös gestalteten Bands versammelt eine Menge – leider nicht immer einwandfreier – Hochglanzreproduktionen Schlotter’scher Radierungen, Aquarelle und Gemälde, so dass man die geduldigen Bildanalysen des Autors stets auch selbst betrachtend nachvollziehen kann. Schneider besuchte den „größten Illustrator des Jahrhunderts“ (Arno Schmidt) während seiner Recherchen immer wieder in seinen deutschen und spanischen Ateliers, um noch unsortierte Werkbestände zu sichten und sich von ihm aus seinen Tagebüchern vorlesen zu lassen.

Dabei galt es, kritisch zu bleiben: Eigene Lebenslegenden des Befragten, vor allem aber die hagiografische Sekundärliteratur überkandidelter Schmidtianer, die Schneider zu Schlotter vorfand, musste er in den beachtlichen Fußnotengebirgen seiner Studie mit der gebotenen Strenge korrigieren.

Auch eine Revision der oft prekären Freundschaft Schlotters mit Arno Schmidt spielt im flüssig geschriebenen Buch eine wichtige Rolle. Spannungsgeladen und produktiv zugleich war der Ideenaustausch, den die Künstler zeitlebens führten. Schmidt, der die Literatur für die höher stehende Disziplin hielt, sprach einerseits von einer „Todfeindschaft“ ihres Schaffens. Andererseits fühlte er sich als avantgardistischer Schriftsteller auf Anhieb von Schlotters menschenleeren Bildern der Fünfzigerjahre inspiriert.

Im Gemälde „Bugwelt“ bewunderte er 1957 das „Selbstporträt eines harten Geistes“. Auch, dass in Schlotters frühem „Aufgang der weißen Tafel“, dem Schmidt den Titel gab, „reinlich das Anorganische“ regiere, musste den Autor als Verachter der gefräßigen „Bestjen der Welten“ frappieren.

Schneider jedoch arbeitet heraus, dass umgekehrt Schlotters „Programm Arno Schmidt“, „das bislang nahezu ausschließlich als geglückte Fusion zweier Parallelwelten dargestellt worden ist“, für den Maler auch als kontraproduktive Geschichte der „Okkupation bildkünstlerischer Vorstellungs- und Ausdruckswelten durch ein literarisches, philosophisches, psychoanalytisches Programm“ beschreibbar sei. Schmidts Einfluss trieb Schlotter, der seine Bilder mit einem freudianisch anmutenden „es“ signierte, zusehends in einen mit literarischen Andeutungen überfrachteten, surrealistischen Manierismus hinein, von dem sich der Maler erst Ende der Achtzigerjahre wieder zu distanzieren begann.

Anfang der Neunzigerjahre emanzipierte sich Schlotter schließlich endgültig von dem bereits 1979 verstorbenen Freund, „indem er zu den klaren, auf die Fläche bezogenen Ordnungs- und Formprinzipien zurückkehrt, die seine Malerei bis Mitte der Sechzigerjahre prägten“, wie Schneider konstatiert. In gewisser Weise bestätigte Schlotter damit Cézannes warnendes Diktum: „Nichts ist gefährlicher für einen Maler [...] als sich mit der Literatur einzulassen. Wenn er darauf hereinfällt, dann ist er geliefert.“

Besonders Schlotters frühe und späte Bilder wandeln auf dem schmalen Grat zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion: „Mich interessiert die sichtbare Welt“, zitiert ihn Schneider. „Wie weit sie zum Vehikel für Transformationen und Metamorphosen wird, ist eine andere Sache.“

Quer durch das Werk hindurch verfolgt Schneider die symbolischen Metamorphosen, die aus Schlotters Interesse an der Oberfläche der Dinge resultierten. Immer wieder sind es verschlüsselte Insignien der Vergänglichkeit, die ihn umtreiben – ausgehend von dem Topos der vergessenen, ausgestorbenen „Messingstadt“ aus den „Märchen aus 1001 Nacht“, die er in einem frühen Triptychon darstellte.

Zum einen spielte der 1971 beginnende Kampf mit dem Krebs, den seine Frau Dorothea 1993 endgültig verlor, als biografischer Auslöser seiner geradezu obsessiven „Urnen“-Bilder (Hans Wollschläger) eine wichtige Rolle. Aber auch die nach 1945 unverbesserlich auftrumpfende Gesellschaft der Deutschen, der Schlotter bereits 1956 mit seiner Auswanderung ins spanische Altea den Rücken kehrte, überschattete die Weltsicht des Künstlers zusehends.

Besonders spannend wird es im Buch dort, wo Schneider Schlotters eigene „ästhetische Gefährdungen“ in der NS-Zeit kritisch betrachtet. Als 20-Jähriger nahm er nämlich 1941 selbst als jüngster Maler an der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Münchner Haus der Deutschen Kunst teil, in der sich die prominente nationalsozialistische Malerei ein Stelldichein gab: „Welche Ehre, und eingebildet war ich auch, und wie“, zitiert Schneider Schlotters eigene sarkastische Erinnerung aus dem Jahr 2002. Hier finden sich mögliche Anknüpfungspunkte in dem lesenswerten Band, deren Weiterverfolgung sich lohnen dürfte.

Wie sich nämlich derartige biografische und ideologische Kontaminationen in Schlotters zunehmend verdunkelter Malerei nach 1945 konkret transformierten, ist auch mit dem nun vorliegenden Grundlagenwerk Schneiders noch lange nicht erschöpfend geklärt. Ein Anfang, immerhin, ist gemacht.

Wolfgang Schneider: „Abgesänge. Eberhard Schlotter. Das späte Werk“. Justus von Liebig Verlag, Darmstadt 2004, 688 Seiten, 30 €