: „Graffiti ist eine Schule fürs Leben“
Im Mauerpark wollen Graffitifans heute gegen die Saubermänner im Roten Rathaus demonstrieren. Die Sprayer beklagen sich über ein langweiliges Stadtbild und wachsende Repression. Vor Strafe haben sie aber keine Angst. Die erhöhe den Nervenkitzel
VON PLUTONIA PLARRE
Cool bleiben, einfach ignorieren, sagen die einen. „Wir scheißen auf eure sauberen Wände“, kündigen andere an, nun erst recht zur Spraydose zu greifen. Dritte, wie die der PDS nahe stehende Jugendorganisation Solid 36 rufen heute, 14 Uhr, zur Demonstration in den Mauerpark. „Graffiti ist freie Meinungsäußerung und darf nicht kriminalisiert werden“, sagen die Veranstalter.
Fakt ist: Der heute im Roten Rathaus stattfindende 1. internationale Anti-Graffiti-Kongress ist nicht nur ein Schlag ins das Gesicht der zigtausend Berliner HipHopper. Auf Einladung des von Reinigungsfirmen gesponserten Vereins „nofitti“ kommen rund 200 Experten, Polizisten und Politiker zusammen, um eine härtere Bestrafung der Sprayer zu fordern (siehe unten). „Hauptstadt macht mobil gegen Sprayer“, titelte die Berliner Morgenpost, geflissentlich verkennend, das Berlin alles andere als aus selbst ernannten Saubermännern besteht. Viele sehen in den tags und styles ganz emotionslos das, was sie sind: Ausdrucksformen des Lebens in einer sehr armen 3,4 Millionenstadt mit großem sozialen Gefälle. Es gibt sogar Leute, die bekritzelte Wände mit Interesse studieren und schön finden. Daran werden auch Klaus Wowereit und Karin Schubert nichts ändern. Der Regierende Bürgermeister hat die Schirmherschaft für den Kongress übernommen, die Justizsenatorin wird dort begründen, warum „wir“ Graffiti nicht hinnehmen müssen.
„Es geht um fame, Ruhm“, sagt der 21-jährige Toi* aus Kreuzberg. „Man probiert sich selbst aus. Vielleicht schafft man es ja, sich als Künstler eine Perspektive zu erarbeiten.“ Toi sprayt seit seiner Kindheit. Nach der 8. Klasse hat er die Schule abgebrochen und lebt von 380 Euro Sozialhilfe. Ein Ausbildungsplatz – Berufwunsch „am liebsten was mit Grafik“ – ist nicht in Sicht. Fast genauso wichtig wie der fame sei der Nervenkitzel, erwischt zu werden, sagt Toi. „Die Schadensersatzforderungen gehen in die tausende, damit wird das ganze Leben kaputtgemacht.“ Aber das schreckt Toi nicht.
„Keiner hat das Recht, einem anderen sein Stadtbild aufzuzwingen“, verwahrt sich der 25-jährige arom-sawcrew gegen die Sauberkeitsfanatiker des Kongresses: „Berlin hat so eine grauenvolle optische Wandlung vollzogen.“ Prenzlauer Berg, alles glatt, geleckt und in Eierschalenfarbe, „da zuckt es einem in den Fingern“. Arom-sawcrew ist seit dem elften Lebensjahr dabei. Auch ihm geht es um fame. Die zunehmende Gewalttätigkeit von Teilen der Szene führt er auf den steigenden Verfolgungsdruck zurück. „Früher hatte man in den Yards drei Stunden Zeit um einen Train zu machen. Jetzt nur noch eine halbe Stunde.“ Auf den Abstellflächen für Züge, meint er, komme heute häufiger Wachschutz vorbei. Das gehe auf Kosten der künstlerischen Qualität. „Kein Wunder, dass man da aggressiv wird, wenn plötzlich ein Wachmann aufkreuzt.“
Der 30-jährige gebürtige Türke Fran* hat es geschafft ein eigenes Musiklabel zu gründen. Die Frage, ob er früher illegal gesprayt habe, weist er entrüstet zurück. Graffiti, sagt er, sei immer legal. „Wir leben nicht in dem Bewusstsein, etwas Kriminelles zu tun.“ Die Hatz auf die Sprayer bringt ihn in Rage. „Das sind echte Hardcore-Methoden gegen Leute, die nichts anderes tun, als sich mit Stift oder Spraydose auszudrücken.“ Graffiti sei eine bessere Schulung fürs Leben als jede arbeitsamtsgeförderte Jobfindungsmaßnahme: „Du findest ganz allein deine Stärken und Schwächen heraus.“ Nichts falle einem in den Schoß, für alles müsse man kämpfen. „Du wirst bewertet nach dem, was du machst und kannst, und nicht nach dem, was du hast und bist“, fasst Fran die Philosophie der HipHopper zusammen.
* Namen von der Redaktion geändert