herr tietz macht einen weiten einwurf : Bauklötze staunen
Fritz Tietz über kirmesartige Bauten aus Styropor und die weitere Ideenlosigkeit im einstigen Land der Ideen
FRITZ TIETZ ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.
Wenn 2006 „die Welt zu Gast bei Freunden“ sein wird, so der Slogan der in Deutschland stattfindenden Fußball-WM, soll die Welt u. a. auch Bauklötze staunen. Bauklötze aus Styropor. So sieht es das Konzept einiger ganz spezieller Freunde vor: Scholz & Friends. Die Berliner Reklamemacher wollen zur WM einige bekanntere deutsche Postkartenmotive mit ausladenden Styropor-Skulpturen vollstellen lassen. Diese kirmesartigen Bauten sollen jenes weltweit gepflegte „positive Vorurteil“ (Innenminister Otto Schily) bekräftigen helfen, wonach Deutschland als die Geburtsstätte etlicher epochaler Erfindungen gilt. Also wird z. B. vor dem Reichstag ein monumentaler Stollenschuh, im Berliner Lustgarten ein riesiger Büstenhalter oder vor dem Kölner Dom ein gigantischer Laptop stehen. So haben es die Styropor-Friends den Auftraggebern einer von Bundesregierung und Mafia (BDI) finanzierten Imagekampagne aufgeschwatzt. Lediglich über die styroporen Abbildungen eines Konzentrationslagers samt Selektionsrampe und eines zur Gaskammer umfunktionierten Duschraums sowie einiger weiterer typisch großdeutscher Erfindungen (wie Autobahn, Kübelwagen oder V 2) gibt es dem Vernehmen nach noch gewisse Differenzen.
„Deutschland – Land der Ideen“ nennen die Kampagneros ihren WM-Imagefeldzug. Ein Titel, den die Bauchrednerpuppe des Kapitals, Bundespräsident Horst Köhler, in seiner Antrittsrede prägte und der sich mindestens so aufregend anhört, wie ein Tässchen abgestandener Idee-Kaffee schmeckt. Und so entkoffeiniert Köhler bei seiner Inthronisierung dreinschaute, sosehr dämmerte dieser trüben Tasse wohl damals schon: Was nutzen einem die besten Ideen, wenn man keine hat? Nicht dass sich die Deutschen nicht bemühten. Der Name Hartz etwa steht wie kein zweiter für eine Idee, die offensichtlich aber auch nur so eine war. Daran kann auch jene Eingebung nichts ändern, die unlängst die Karin des Wirtschafts-, Arbeits- und Echt-Super-Ministers Clement in die Welt am Sonntag posaunte: „Wer einen Job wirklich will, der kriegt auch einen“, erfand da Frau Karin Clement kurzerhand das Ende der Massenarbeitslosigkeit. Doch noch ehe man „Das ist es! Ein- fach nur einen Job wirklich wollen!“ ausrufen konnte, erwies sich auch dieser deutsche Geistesblitz bloß als Hirngespinst einer eher schlicht gestrickten Dame, die ähnlich wie ihr Gatte alles Mögliche im Oberstübchen hat, nur eben nicht den Pups einer Idee.
Ähnlich wie mit den deutschen Arbeitsplätzen verhält es sich übrigens mit den knapp 800.000 frei verfügbaren Stadionplätzen während der WM, um die sich, ebenfalls analog zu den Arbeitslosen, über 5 Millionen Interessierte bewerben. Für Leute vom Schlage Clements sicher kein Problem: Man muss ein Ticket nur wirklich wollen, dann klappt das schon, so werden sie einem leutselig empfehlen und dabei lässig mit den Endspielkarten wedeln, die für ihresgleichen längst reserviert sind. Auch sonst purzeln hierzulande die Ideen im Hinblick auf die WM nur so. Vor allem Innenminister Otto Schily tut sich diesbezüglich hervor. Seine neueste Idee ist die der gefühlten Sicherheit: „Natürlich erwarten die WM- Gäste ein Gefühl der Sicherheit. Das werden wir ihnen auch bieten“, ließ er unlängst seinen Sicherheitsgefühlen freien Lauf. Wie sich Sicherheit à la Schily anfühlt, weiß jeder Fußballfan, der schon mal von einer Rotte kampfuniformierter Polizisten ins Stadion geleitet, dort bis auf die Unterhose leibesvisitiert und nach Abpfiff stundenlang im Block festgesetzt wurde. So weit, so bekannt. Neu an Schilys Idee ist sein fester Vorsatz, solcherart gefühlte Sicherheit während der WM „auf fröhliche Weise“ an den Mann zu bringen. „Das geht“, zeigte er sich unlängst in einem Interview davon überzeugt, dass das geht, ohne jedoch zu erklären, wie das gehen soll. Werden alle deutschen Polizisten zur WM mit lustigen roten Clownsnasen ausgestattet? Müssen sie ihren Gefühltesicherheitsdienst unter Absingen fröhlicher Weisen versehen?
Mal sehen, was dem Land der Ideen bis zur WM noch so alles einfällt. Bisher scheinen seine Einfälle, wenn nicht aus Styropor, allenfalls gefühlte zu sein.
Mit den taz-Kolumnen von Fritz Tietz ist soeben ein Buch erschienen: „Und vorne brennt die Luft – Aus der Welt der körperlichen Ertüchtigung“; Edition Tiamat, 128 Seiten, 12 €