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Archiv-Artikel

Trostloser Akt im Hochhuth-Drama

Der umstrittene Autor Rolf Hochhuth beklagt die Antisemitismus-„Treibjagd“ gegen seine Person und schreibt dabei gleich den nächsten Akt des Dramas: Er zitiert Alfred Grosser – mit einer Hetz-Parole, die der Pariser Politologe entsetzt dementiert

AUS BERLIN ASTRID GEISLER

Der Schriftsteller Rolf Hochhuth hat in der Antisemitismus-Diskussion um seine Person nachgelegt – und dabei den Großpublizisten Alfred Grosser gegen sich aufgebracht. In einem Gastbeitrag für die Schweizer Weltwoche zitiert Hochhuth den Pariser Politologen mit den Worten: „Gäbe es in Deutschland nicht Paul Spiegel – gäbe es dort auch keine Antisemiten!“ Bei Grossers Angriff auf den Präsidenten des Zentralrats der Juden handele es sich um ein „Trostwort“, erläutert der 74-jährige Hochhuth in seiner anderthalbseitigen Selbstverteidigungsschrift. Grosser sei einer der wenigen, die sich nicht an der Hetze gegen ihn, den vermeintlichen Antisemiten, beteiligt hätten, der Wissenschaftler habe ihm stattdessen diese Botschaft „zukommen“ lassen. Der Präsident des Zentralrats der Juden allein verantwortlich für jeden Judenhasser der Republik? Man darf sich die Augen reiben. Das tut auch Grosser, 1933 mit seinen Eltern vor den Nazis nach Frankreich geflohen.

Auf das Zitat angesprochen, reagiert Grosser entsetzt. „Ich habe Hochhuth seit Jahren nicht gesehen und nicht mit ihm kommuniziert“, versicherte der 80-Jährige der taz. Schon gar nicht habe er dem Schriftsteller ein solches „Trostwort“ zukommen lassen. Von dem Text in der Weltwoche und dem Zitat habe er erst auf Hinweis der taz erfahren.

Grosser macht keinen Hehl daraus, dass er sich mehrfach kritisch über Paul Spiegel äußerte: „Aber so etwas habe ich natürlich nie über ihn gesagt.“ Und, ergänzt Grosser in einem Schreiben an die Weltwoche, das der taz vorliegt: Wer ihn kenne, der wisse, „dass ich zu einer solchen Dummheit unfähig bin“.

Bleibt die Frage, wie Hochhuth darauf gekommen sein könnte. Grosser habe ihm die Botschaft unlängst bei einer Lesung in Berlin „ausrichten lassen“, versicherte Hochhuth gestern auf Nachfrage am Telefon. Gerne hätte man auch erfahren, von wem – und was aus Sicht des Schriftstellers an der Attacke gegen Spiegel eigentlich tröstend ist. Doch Hochhuth ist für weitere Fragen nicht zu sprechen, er legt stattdessen den Hörer auf.

Der Schriftsteller hatte Anfang des Jahres in einem Interview mit der Rechtspostille Junge Freiheit den britischen Holocaust-Leugner David Irving in Schutz genommen und dies erst mit einiger Verspätung öffentlich als „idiotisch“ bedauert. Zentralratspräsident Spiegel kritisierte daraufhin, in den vergangenen Monaten sei „die Hemmschwelle für den Transport antisemitischer Vorurteile“ deutlich gesunken – „und ich rede von Intellektuellen wie Hochhuth“. In der Weltwoche beklagt Hochhuth, er sei Opfer „einer regelrechten Treibjagd“ und spricht von „geistiger Existenztilgung“.

Nach seinem Fehltritt in der Jungen Freiheit hatte die FAZ den Dramatiker in Schutz genommen: Hochhuth sei ein „alter, aufgeregter, wirrköpfiger und unbesonnener“ Mann, er habe unlängst seine Frau verloren, sei „in diesem neuen Leben ohne sie noch nicht richtig angekommen“. Grosser urteilt weniger milde: „Hochhuth ist wirklich furchtbar!“