: Werk der Giganten
WIRTSCHAFT In der denkmalgeschützten Peter-Behrens-Halle in Moabit werden auch nach 100 Jahren noch Turbinen gebaut. Ein Besuch
VON KRISTINA PEZZEI
Ehrfurcht. Das muss es gewesen sein, was die Menschen vor 100 Jahren beim Anblick der Moabiter Maschinenhalle empfanden. „Man glaubt, eine eiserne Kirche zu sehen“, schrieb der Kunsthistoriker Franz Mannheimer, der Autor Artur Fürst sprach von einem „Maschinendom“. Die Turbinenhalle von Architekt Peter Behrens galt als wegweisend – weg vom Fabrikmuff, hin zu Industrie-Schönheit, eine Verbeugung vor Technik und Moderne. Ein Meilenstein.
Daran hat sich nach einem Jahrhundert nichts geändert: Das trotz seiner Größe elegant wirkende, schlichte Gebäude lässt Betrachter immer noch innehalten. Und in seinem Inneren wird nach wie vor produziert – für Berlins größten industriellen Arbeitgeber: Siemens fertigt in Moabit Gasturbinen. Von hier aus werden die über 400 Tonnen schweren Maschinen an Ziele rund um den Globus geschickt.
„Mahlzeit“, schallt es Besuchern an der zur Huttenstraße gelegenen Pforte entgegen – egal zu welcher Stunde: Hier arbeitet man Schicht, da wird Mittag zu einer sehr individuellen Definition. Hinter der Schranke ragt zur Rechten die Turbinenhalle auf, zur Linken stehen Anbauhallen, ein Tagungszentrum und ein Zweckbau, in dem die Kantine untergebracht ist.
In der Mitte wartet Betriebsleiter Andreas Fischer-Ludwig neben einem mannshohen Aufsteller der Werbekampagne des Landes „Ich bin ein Berliner“. „Den habe ich mir gleich gesichert, als er am Potsdamer Platz abgebaut wurde“, sagt Fischer-Ludwig und schmunzelt. Er leitet das Werk seit elf Jahren, arbeitet seit über zwei Jahrzehnten in Berlin. Die hessische Herkunft ist ihm immer noch anzuhören.
Der kleine, kräftige Mann ist einer der letzten echten „Siemensianer“, eine mit dem langjährigen Unternehmenschef Heinrich von Pierer verschwunden geglaubte Gattung. Seit dem Skandal um korrupte Manager und jahrzehntelang geheim gehaltene krumme Geschäfte haben Loyalität zu und Vertrauen in den Weltkonzern spürbar abgenommen. Fischer-Ludwig hingegen, Jahrgang 1959, hat im Prinzip immer bei Siemens gearbeitet, seine Lebensgeschichte ist mit dem Konzern verwoben. Es ist seine Welt.
3.500 Mitarbeiter
Am Eingang zur Halle grüßen die Mitarbeiter freundlich, der Chef selbst gibt beim Rundgang immer wieder einzelnen Arbeitern die Hand. Man kennt sich, Fischer-Ludwig ist oft bei der Produktion dabei. Das hat sich auch nicht geändert, seit er immer öfter hochrangige internationale Politiker durch den Betrieb führt und selbst um die Welt zu seinen Kunden reist. „Immer nur Büro macht keinen Spaß.“ Fischer-Ludwig ist verantwortlich für 3.500 Mitarbeiter, die aus 34 Nationen kommen.
127 Meter lang und am Scheitel 25 Meter hoch ist die Turbinenhalle – groß genug für die riesigen Gasturbinen, die Ingenieure und Facharbeiter aus mehr als 10.000 Einzelteilen zusammensetzen. Viele der Komponenten kommen von Brandenburger Zulieferern. Das Gebäude aus Stahl, Beton und Glas steht unter Denkmalschutz, außen im siebeneckigen Giebel sind nach wie vor das AEG-Firmenzeichen und der Zusatz „Turbinenfabrik“ eingelassen. Die AEG gab die Halle 1908 in Auftrag, ein gutes Jahr später ging sie in Betrieb. Von Anfang galt der Entwurf von Behrens als Meisterwerk – er war von ganz eigener Ästhetik, hell dazu dank der Fensterfronten. Die Materialien sind hervorragend aufeinander abgestimmt und die Statik so berechnet, dass die Turbinenhalle bis heute ihren ursprünglichen Zweck erfüllt.
1969 legten AEG und Siemens ihre Kraftwerkssparten zusammen, seit 1977 ist nur noch Siemens an der Huttenstraße vertreten. „Hier kommt vom ersten Teil bis zur versandfertigen Turbinen alles aus einer Hand“, sagt Fischer-Ludwig. Ein bisschen wirkt es wie auf einer überdimensionierten Spielwiese – scheinbar wahllos verstreut stehen Mitarbeiter um Stahlteile herum, schrauben, heben, bedienen Hilfsmaschinen. Sie verhalten sich leise, auch läuft niemand mit den sonst üblichen Ohrschützern umher. Nur gelbe Helme sind Pflicht.
Natürlich steckt System hinter dem scheinbaren Chaos. In Moabit werden die effizientesten Turbinen gebaut, die es derzeit auf dem Markt gibt. Zunächst wird der Rotor mit seinen verschiedenen Blättern und Beschichtungen zusammengesetzt, später kommt das Gehäuse darum herum. Die Turbinen sind für den Gas- und Dampf-Prozess (GUD) optimiert, ein Kraftwerksverfahren, das Gas- und Dampfkraft kombiniert.
„Die Verbrennungsgase können bis zu 1.500 Grad Celsius heiß sein und bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von 100 Metern pro Sekunde auf die Turbinenschaufeln“, erklärt der Betriebsleiter. Er steht vor einer halb montierten Riesenschraube, die einmal einen Rotor ergeben wird. Bei der Abkühlung wird die thermische Energie in mechanische umgewandelt, der Rotor dreht sich. „Ein Rotorblatt für eine 50-Hertz-Turbine schafft 3.000 Umdrehungen pro Minute, die Schwingungen an den Schaufelspitzen erreichen Schallgeschwindigkeit.“ Fischer-Ludwig deutet auf eine weiße Beschichtung: die benötigen Gehäuse und Rotorblätter, damit sie nicht schmelzen. Nach und nach fügen sich die einzelnen Stahl- und Eisenteile, die einen Menschen um einiges überragen, zu einem Ganzen.
Von außen ruft die Halle Erinnerungen an die Anfänge des Industriezeitalters wach, an ratternde Bänder, ohrenbetäubenden Lärm und die stumpfen Blicke der Fließbandarbeiter. Innen überrascht der Gegensatz: Teamarbeit an Einzelstationen, gedämpfte Gespräche. Statt über maschinelle Abläufe spricht Fischer-Ludwig über physikalische Prozesse. Die Effizienz eines GUD-Kraftwerks liegt bei mehr als 60 Prozent; schon eine Turbine liefert genug Energie, um eine Stadt von der Größe Hamburgs mit Energie zu versorgen. Der Wirkungsgrad klingt zunächst nach ziemlicher Verschwendung, ist aber deutlich höher als der von Kohlekraftwerken. Deren Effizienz liegt in Deutschland unter 40 Prozent. Verbesserungen werden oft nur im Zehntelprozentbereich erzielt, wobei schon diese deutliche Auswirkungen haben: 1 Prozent Wirkungsgrad-Steigerung ermöglicht 21.500 Tonnen Kohlendioxid-Einsparungen pro Jahr – das entspricht etwa dem, was 10.000 Mittelklasse-Wagen pro Jahr verpulvern, wenn damit je 20.000 Kilometer gefahren werden.
Die Nachfrage steigt
Nicht nur wegen dieser Differenz, sondern auch weil Erdgas weltweit einfach zu fördern ist, steigt die Nachfrage nach Turbinen. In der Moabiter Maschinenhalle sind die Beschäftigten gut ausgelastet. Das Gasturbinenwerk ist das größte bundesweit, Siemens-intern gibt es ein ähnliches Werk in Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina.
Fischer-Ludwig steht jetzt auf einer Balustrade in der Endmontagenhalle. Er schaut auf fünf Stände, wo die letzten Schrauben an den Turbinen festgezurrt werden. Die sind mittlerweile so groß und schwer, dass die Teile zu ihnen wandern müssen. Digitale Anzeigetafeln erläutern, wann und in welches Land die Maschine geliefert wird und wer für das Produkt verantwortlich ist. Derzeit sind zwei für den Irak bestimmt, jeweils eine geht nach Saudi-Arabien, China und Kanada: 90 Prozent verlassen Moabit mit einem Ziel im Ausland.
Schwer wie ein Flugzeug
Wenn die Turbine zum Hallentor befördert wird, ist sie an die zwölf Meter lang und bis zu 440 Tonnen schwer; das entspricht dem Gewicht von 88 afrikanischen Elefanten oder einem vollgetankten Airbus A 380. Eine Woche lang haben die Arbeiter an ihr gebaut, vom ersten Rotorblatt bis zum letzten Schliff. Da dürfen der hartgesottene Mechaniker und der kantige Ingenieur schon mal emotional werden: Sie verabschieden ihr „Kind“ mit einer Taufe. Ein Schild mit dem Namen des verantwortlichen Beschäftigten wird angeschraubt, die Turbine signiert. Anschließend wird sie auf einen Schwerlaster verladen und auf die sieben Kilometer lange Reise zum Westhafen geschickt, wo die Reise an den Bestimmungsort auf dem Wasserweg beginnt. Erstaunlich, dass Berliner Straßen ein solches Gewicht aushalten.
In der Regel beginnen die Transporte nachts, wenn wenig Verkehr auf den Straßen herrscht. Unlängst musste eine Turbine tagsüber verladen werden, was Fernsehteams, Radioreporter und Schaulustige nach Moabit lockte. „Da war richtig was los, da hat man mal gesehen, was wir hier machen!“ Fischer-Ludwig hat sich über die Aufmerksamkeit gefreut.
Die Kosten für eine der Riesenmaschinen liegen im zweistelligen Millionenbereich. Wegen dieser hohen Anschaffungskosten überlegen sich Kraftwerksbetreiber eher zweimal, ob sie eine neue Turbine brauchen oder die alte aufwerten lassen. „Viele lassen sich ihre Kraftwerke upgraden, immer auf der Suche nach einem höheren Wirkungsgrad“, weiß Fischer-Ludwig. Je effizienter eine Maschine, desto besser für die Umwelt – und für die Konzernkassen.
Siemens bietet von Moabit aus Serviceleistungen für gesamte Kraftwerke an, zudem forscht und entwickelt es am Standort. Beim Tüfteln an neuen Werkstoffen und Verbesserungen beim Design kooperiert das Unternehmen eng mit Universitäten und dem ganz in der Nähe am Spreeufer gelegenen Fraunhofer-Institut. „Berlin ist schon deswegen ein hervorragender Standort, diese Kooperationsmöglichkeiten sind unbezahlbar“, sagt Fischer-Ludwig. Er holt immer wieder Studierende für Abschlussarbeiten oder Doktoranden in den Betrieb, aus vielen Werkstudenten werden später Angestellte. Etwa 20 Doktorarbeiten pro Jahr werden in der Turbinenhalle und in den Forschungs-Zweckbauten auf dem Gelände betreut.
Berlin als Standort sei auch wegen der Nähe zur Politik förderlich und – derzeit noch – wegen der Lage des Werks, sagt der Betriebsleiter: Wer in Tegel lande, könne auf dem Weg ins Regierungsviertel leicht einen Zwischenhalt an der Huttenstraße einlegen. Fischer-Ludwig begrüßt jeden zweiten Tag Kunden, Wirtschaftsdelegationen und Politiker. Ein Gang durch die Behrens-Halle ist dabei Pflicht, nicht nur wegen der Turbinen. Das Gebäude an sich reicht, um Besucher zu beeindrucken.