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Archiv-Artikel

Gummersbacher Euphorie im Exil

Der VfL Gummersbach schlägt im Halbfinal-Hinspiel des Europapokals den SC Magdeburg mit 25:24. Die Oberbergischen Handballer hoffen nun auf ein westdeutsches Endspiel gegen TUSEM Essen – in der Kölnarena

KÖLN taz ■ Trockener lässt sich eine Sensations-Performance nicht kommentieren. „Ja, schon öfter“ habe er so gehalten, erzählte Torwart Henning Wiechers nach dem 25:24-Sieg seines VfL Gummersbach im EHF-Pokal-Halbfinalhinspiel gegen den SC Magdeburg, als läge ein gewöhnliches Handballspiel hinter ihm. Bisher habe er allerdings nur in der kleinen und schummrigen Gummersbacher Eugen-Haas-Halle gespielt und nicht in der lichtdurchfluteten Kölnarena, insofern sei das, grinste der Keeper, wohl in der Presse untergegangen. Dem 30-Jährigen, der zu Saisonende zum HSV Hamburg wechselt, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Fangquote bewusst. Und die verschlug jedem Fachmann die Sprache: 64 Prozent der Würfe (16 von 25), hatte Wiechers pariert, ein Weltklassewert. Nationalkeeper Henning Fritz, nur zum Vergleich, war im legendären olympischen Viertelfinale 2004 gegen Spanien auf 52 Prozent gekommen. Die Katze Wiechers bildete jedenfalls die Basis, um die unheimliche Negativserie gegen einen Angstgegner zu stoppen. Es war der erste Sieg im 19. Spiel. Siegtorschütze zum 18:17 beim letzten Erfolg anno 1996 war der Stefan Kretzschmar, der damals noch das Trikot der Oberberger trug.

Die 11.684 Zuschauer in der erneut dezibelstarken Kölnarena hatten eine intensiv geführte Partie zweier „Weltklasse-Mannschaften“ (SC-Trainer Alfred Gislason) gesehen, und gerade im zweiten Abschnitt entwickelte sich, wie Wiechers zufrieden konstatierte, „eine richtige Abwehrschlacht“. Nie führte eine Mannschaft mit mehr als zwei Toren, meistens allerdings lagen die Vorteile beim spielerisch stärkeren Gast aus Sachsen-Anhalt. In den zweiten 30 Minuten war jedes Tor das Produkt extrem harter Arbeit. Ein Fest für Abwehrfanatiker wie den anwesenden Bundestrainer Heiner Brand.

Jedenfalls war der VfL nicht zu vergleichen mit der Mannschaft, die noch vor zwei Wochen acht Tore Vorsprung gegen Nordhorn verschenkt und damit die Entlassung von Trainer Richard Ratka provoziert hatte. Dieses Team rannte und rang verbissen um jeden Zentimeter in diesen 60 Minuten, in denen die kroatischen Schiedsrichter erstaunlich viele Attacken auf den Körper ungeahndet ließen. „Die wollen alle, das sieht man“, zeigte sich nicht nur VfL-Aufsichtsratschef Hans-Peter Krämer begeistert. Auch Lajos Mocsai, seit Ostermontag verantwortlicher Trainer des VfL, war in dieser Hinsicht zufrieden. „Wir sind nicht zusammengebrochen und haben 60 Minuten Moral gezeigt“, freute sich der gewitzte ungarische Handball-Professor. Er hatte lediglich etwas auszusetzen an den Tempogegenstößen und der zweiten Welle, dazu mangelte es ihm „an Kreativität im Positionsangriff“.

Die Art des Coaches mit der gemütlichen Plautze kommt scheinbar an. Er trainiere zwar hart, findet Wiechers, „aber er ist ganz kuschelig mit uns, das brauchen wir in dieser Situation“. Die hochbezahlte Mannschaft, die in der Liga derzeit nur Platz Acht belegt, war zuletzt massiv von den Medien und der Klubführung kritisiert worden. Mittwoch Abend war wieder Sonnenschein angesagt. Nicht nur Frank von Behren sieht am Samstag beim Rückspiel „eine Chance in Magdeburg“, und zwar trotz des Mimimalvorsprungs. Klubchef Krämer spekulierte gar schon Richtung Endspiel, in denen der Sieger wahrscheinlich auf Essen träfe. Käme es zu einem reinen West-Finale im EHF-Pokal, „werde ich dem Essener Boss Klaus Schorn vorschlagen, beide Partien in der Kölnarena auszutragen“, so Krämer. Nur zwei Wochen nach der Katastrophe gegen Nordhorn hat sich wieder Euphorie breitgemacht beim VfL. ERIK EGGERS