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Archiv-Artikel

Ist das höchste Amt im Eimer?JA

RESPEKT Die halbe Republik hackt auf Christian Wulff herum. Was das für die Bundespräsidenten nach ihm bedeutet, muss sich noch zeigen

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Uta Ranke-Heinemann, 84, war die erste Professorin für katholische Theologie

Was mit Bundespräsident Wulff ist, ist mir egal – ich bin von allen unseren Politikern enttäuscht. Nicht nur dieses Amt, sondern unsere ganze Politik ist im Eimer. Früher waren ja wenigstens die Grünen für den Frieden, heute gibt es niemanden mehr, der irgendeinen Krieg verhindert. Ich bin Theologin – und das Wichtigste, das Jesus predigte, war: ‚Keine Vergeltung, den Feinden Gutes tun.‘ Das wäre die Erlösung der Menschheit gewesen. Aber er predigte seine Worte in den Wind. Bundespräsidentin wollte ich nie werden. Ich weiß noch, ich schälte Kartoffeln, als mich Herr Bisky von der PDS damals, 1999, aus Zypern anrief und fragte, ob ich Kandidatin werden wolle. „Ich geh aber zu keiner Versammlung“, habe ich ihm gleich gesagt, „ich sage nur: ‚Hört auf zu bomben!‘“ Und deswegen genau wollte Bisky, dass ich kandidiere. Mir war klar, dass ich mit meiner Forderung nach Frieden niemals gewählt werden würde. Die Zustände, wie sie heute in der Politik herrschen, wären zur Zeit meines Vaters Gustav Heinemann, der ja von 1969 bis 1974 Bundespräsident war, nicht möglich gewesen. Für mich persönlich hatte sein Amt Nachteile: Ich war „außerordentliche“ Professorin und sollte 1970 besser bezahlte „ordentliche“ Professorin werden, aber da hätte es geheißen: „Das ist sie nur geworden, weil sie die Tochter des Bundespräsidenten ist!“

Vera Lengsfeld, 59, CDU, war Bundestagsabgeordnete und DDR-Regimegegnerin

Das Amt ist im Eimer, solange Wulff Bundespräsident ist. Er zeigt weder echte Einsicht noch Schuld- oder Unrechtsbewusstsein. Das gesamte Interview am Mittwoch durchzog eine unverfrorene Unterstellung: Alle seine Handlungen seien im Prinzip richtig gewesen, maximal wurden PR-Fehler gemacht und die Öffentlichkeit habe sich eigentlich eh aus der Bewertung von Privatem herauszuhalten. Er entschuldigte sich nur pro forma, wo es unvermeidlich war. Ob Upgrade von Flugtickets, Gratis-Übernachtungen bei Freunden oder Annahme von Krediten: Wulff entlastet sich selbst, obwohl dies hier objektiv gar nicht möglich ist. Die Regeln der Korruptionsbekämpfung, denen alle Angestellten des öffentlichen Dienstes und von Unternehmen unterworfen sind, beinhalten auch das Vermeiden von unbewusster oder nur halbbewusster Vorteilsgewährung. Die bewusste Vorteilsgewährung ist nur der extremste Fall. Eine objektive Bewertung, ob ein Amtsinhaber „Freunden“ Vorteile gewährt hat, kann nur eine neutrale Person (z. B. ein Antikorruptionsbeauftragter) vornehmen. Wulff ist nicht bewusst, dass ein Beamter, der sein Verhalten an den Tag gelegt hätte, mit einer fristlosen Entlassung rechnen müsste. Wulff lässt das nötige moralische und politische Gespür für die Ausübung des Amts des Bundespräsidenten vermissen.

Alexis Schwartz, 33, aktives Attac-Mitglied aus Güstrow, hat auf taz.de kommentiert

Das Amt ist bedeutungslos. Wozu brauchen wir eine (un)moralische Instanz, die nicht mal demokratisch legitimiert ist und zudem Hunderttausende Euro verschlingt? Wozu muss diese Person in einem Schloss leben und ein Leben lang jährlich 199.000 Euro erhalten? Als Kompensation, weil wir keine Queen haben? Unsere Gesellschaft ist langsam in einem Alter, in dem wir keinen herausragenden Repräsentanten mehr brauchen. Bellevue sollte zur Hälfte Jugendklub und zur anderen Hälfte Labor für moderne Demokratiemodelle sein, die uns in eine partizipative Demokratie ohne pseudo-expertenhafte RepäsentantInnen führen. Das Budget von 30,2 Millionen Euro für Bundespräsident und Bundespräsidialamt (für 2011) wäre dafür jedenfalls sinnvoller eingesetzt.

Nein

Peter Sodann, 75, Ex-„Tatort“-Kommissar, war 2009 Präsidentschaftskandidat

Wulff hat das Amt beschädigt. Aber es ist nicht im Eimer. Dass wir einen Bundespräsidenten haben, ist ja nicht verkehrt, es müsste nur mal ein ehrlicher Mensch in das Amt kommen, der weiß, dass Schummeln nicht geht. Angenommen, ich wäre Bundespräsident geworden – und es wäre ja so gekommen, hätte die komplette CDU Diarrhö und die SPD Ehec gehabt –, hätte ich einen klaren Vorteil gegenüber Köhler und Wulff gehabt. Immerhin war mein Name als „Tatort“-Kommissar nicht ohne Grund: Bruno Ehrlicher. Schon 2005 habe ich zur Bundespräsidentenwahl gesagt: Ein Bundespräsident muss vor allem zwei von Goethes Gedichten kennen – „Das Göttliche“, das beginnt mit „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, und „Feiger Gedanken“, das weitergeht mit „bängliches Schwanken, weibisches Zagen, ängstliches Klagen wendet kein Elend, macht dich nicht frei“. Horst Köhler hat damals aber wohl nicht zugehört, sonst hätte er nicht zurücktreten müssen. Bei Wulff frage ich mich, wie er jetzt noch jemandem ins Angesicht schauen will. Denn entweder der Bundespräsident ist ein Vorbild, wie er es sein soll, oder er ist es eben nicht.

Klaus Schrotthofer, 45, Verlagsmanager, 2002 bis 2004 Sprecher von Präsident Rau

Das Amt ist nicht im Eimer. Es ist aber auch nicht mehr viel übrig davon. Viele Gründe, deretwegen man es 1949 geschaffen hat, haben sich überlebt. Unser politisches System ist stabil genug, um Größenwahn im Kanzleramt zu verhindern. In Zeiten globaler Kommunikation könnte die Welt auch ohne ritualisierte Staatsbesuche leben. Und niemand würde sich wundern, wenn der Bundestagspräsident die Gesetze unterschriebe. So gesehen könnte man Schloss Bellevue schließen. Das Amt gibt nichts, es lebt von dem, was der Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin mitbringt. Darin liegt das Missverständnis des gegenwärtigen und des vorigen Bundespräsidenten. Horst Köhler glaubte, das Amt gäbe ihm operative Macht. Christian Wulff glaubt, das Amt verleihe ihm Autorität. Tut es nicht. Die Autorität muss man mitbringen. Durch die eigene Biografie, durch kluge Gedanken und den Mut, zur richtigen Zeit das Wichtige zu sagen. Einen common sense zu formulieren, Minderheiten zur Sprache zu verhelfen und grundlegende Ansprüche an eine plurale Gesellschaft jenseits der Tagespolitik zu stellen – dafür braucht man das Amt. Es ist nicht im Eimer. Es wartet auf die Person, die ihm wieder Format gibt.

Bettina Goebel, 50, ist Übersetzerin aus Bochum und hat auf taz.de kommentiert

Nein, das höchste Amt ist aus Teflon! Lasst Gerechtigkeit walten. Die Kandidaten für das Amt mit Aussicht auf Erfolg boten seinerzeit eine Wahl zwischen „Pest“ und „Cholera“. Wulff macht nun die Erfahrung, die schon viele gemacht haben, die Mittel zum Zweck der Auflagenoptimierung des Springer-Verlages wurden. Der Unterschied ist, dass die keinen Zugang zu den Mailboxen von Diekmann, Döpfner und Friede Springer haben. Darum die 1. Forderung: Freier Zugang aller Bild-Opfer zu den Mailboxen dieses Trios! Ein Verdienst dürfen wir dem Präsidenten anrechnen. Wulff ist es gelungen, das Bild abzurunden, das die Öffentlichkeit von den beiden höchsten Ämtern Deutschlands hat: Die Deutsche Bank tanzt im Kanzleramt, und Springer leitet die Öffentlichkeitsarbeit des Bundespräsidialamtes. Dass der Bundespräsident seine dröge Maske abwirft und den Springer-Publikationen einen „Krieg“ in Aussicht stellt, wird viel zu negativ bewertet. Darum die 2. Forderung: Solidarisiert euch mit Wulff im Kampf gegen Springer! First we take Springer, then we take Deutsche Bank.