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Archiv-Artikel

„Bremen bleibt Vorreiterin“

SCHWANGERSCHAFTSABBRÜCHE Die vorgeburtliche Diagnostik wird nicht mehr hinterfragt, sagt Gaby Frech von der Bremer Beratungsstelle „Cara“. Dabei ist sie nicht ohne Risiken

Gaby Frech, 56

■ Diplom-Pädagogin mit therapeutischer Zusatzqualifikation, berät seit 1999 bei Cara zu pränataler Diagnostik. Foto: privat

INTERVIEW EIKEN BRUHN

taz: Frau Frech, ab nächstem Jahr gelten verschärfte Bedingungen für Schwangerschaftsabbrüche nach der zwölften Woche. Können Sie mit dem neuen Gesetz leben?

Gaby Frech: Ja, sogar gut. Es könnte dazu führen, dass Frauen mehr Informationen und Zugang zu Unterstützungsangeboten bekommen als bisher. Und die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch damit eine tragfähigere sein wird.

Sie klingen, als wollten Sie ein „aber“ hinterherschieben.

Weil das Gesetz und die Debatte um Spätabbrüche am Ende der Kette ansetzen. Die vorgeburtliche Diagnostik wird als selbstverständlicher Bestandteil der Schwangerschaftsvorsorge nicht mehr hinterfragt. Dabei ist der Spätabbruch nur die logische Konsequenz der Diagnostik. Deswegen wird die Neuregelung auch nicht zu weniger Spätabbrüchen führen.

Was hat Ihnen in der Debatte gefehlt?

Ich wünsche mir, dass auch über die Untersuchungen, ihre Aussagekraft und mögliche Konsequenzen gesprochen wird, dass Ärzte schon vor dem ersten Ultraschall darauf hinweisen, was das alles nach sich ziehen kann.

Klären die Ärzte darüber zu wenig auf?

Das lässt sich so pauschal nicht sagen, es gibt viele, die sehr gut erklären, was sie machen und was das bedeuten kann. Die etwa sagen, dass für einen Abbruch eine Geburt eingeleitet wird.

Aber die Frauen oder Paare wollen das nicht hören?

Das Problem ist, dass die Logik hinter dem Bedürfnis der Schwangeren und die hinter der Diagnostik sich konträr gegenüberstehen. Die Frau will hören, dass alles in Ordnung ist und die Ärzte suchen nach Auffälligkeiten.

Woher kommt dieses Bedürfnis der Schwangeren?

Die Diagnostik vermittelt die Illusion, gesunde Kinder seien machbar. Das ist offenbar für viele eine verführerische Aussicht angesichts schwieriger gesellschaftlicher Rahmenbedingungen für das Leben mit Kindern, ganz besonders mit behinderten Kindern. Manchmal steht die Angst vor einem behinderten Kind auch für etwas anderes, das wird in der Beratung klar.

Für was kann das stehen?

Mir fällt ein Paar ein, das überlegte, eine Fruchtwasseruntersuchung machen zu lassen, weil sie große Angst vor einem behinderten Kind hatten – obwohl ein Abbruch nicht in Frage kam. Im Gespräch wurde deutlich, dass ihre persönliche und familiäre Situation so belastend war, dass sie nicht bereit für ein Kind waren.

Ergreifen Sie Partei für die Frau oder für das behinderte Kind?

Für beide. Wir kritisieren eine Diagnostik, die nach Kindern mit Behinderungen sucht, vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Konsenses, dass Kinder mit bestimmten Merkmalen besser nicht geboren werden sollten. In der Beratung geht es aber ganz klar um die Frau, was sie braucht, wie sie sich fühlt. Wir sprechen darüber, was für sie für die Nutzung eines Tests spricht, über Erwartungen und Hoffnungen, die mit den Untersuchungen verbunden sind und was ein auffälliges Ergebnis etwa der Nackenfaltenmessung für sie bedeutet.

Kommen Sie mit dieser doppelten Parteilichkeit nicht an Ihre Grenzen?

Manchmal. Beispielsweise wenn ein Paar ein Kind abtreiben lassen möchte, weil es eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte hat. Als professionelle Beraterin kann ich in solchen Situationen mein Gegenüber mit meiner Position konfrontieren – ich muss sie aber als solche erkennbar machen.

Vor kurzem hat die Beratungsstelle Cara, die vor knapp 20 Jahren als Verein gegründet wurde, den Träger gewechselt und ist jetzt bei der Evangelischen Lebensberatung angesiedelt. Warum haben Sie die Unabhängigkeit aufgegeben?

Das haben wir nicht! Cara existiert mit einem unabhängigen Beratungsangebot weiter in Trägerschaft der Familien- und Lebensberatung. Und wird für die nächsten zwei Jahre weiter finanziert vom Land Bremen. Die Behörde hat sich ganz klar dafür ausgesprochen, dass es weiter ein solches Angebot geben muss, trotz der finanziellen Lage. Damit bleibt Bremen, was die psychosoziale Beratung zur pränatalen Diagnostik betrifft, weiter Vorreiterin.

Pränatale Diagnostik

Etwa ein Prozent aller Kinder kommt mit einer genetisch bedingten Behinderung zur Welt, doppelt so viele Behinderungen entstehen während Schwangerschaft oder Geburt.

■ Mit der Nackenfaltenmessung wird nach einer Chromosomenabweichung gesucht, etwa dem Down-Syndrom. Eine verlässliche Diagnose bietet jedoch erst eine Fruchtwasseruntersuchung oder die Chorionzottenbiopsie. Beide Methoden können eine Fehlgeburt verursachen.

■ Nach dem neuen Gesetz müssen ÄrztInnen nach einer Diagnose über eine Gesundheitsschädigung des Fötus eine umfassende Beratung anbieten und auf weitere Hilfemöglichkeiten hinweisen. Zwischen Diagnose und Abbruch müssen drei Tage vergehen. Bei Verstoß droht ein Bußgeld von 5.000 Euro.

Welche Vorteile bietet Ihnen die Kooperation mit der Evangelischen Kirche?

Neben verwandten ethischen Positionen sehen wir die Chance, im Rahmen einer großen Institution unser Angebot einer breiteren Bevölkerungsgruppe zugänglich zu machen.

Das heißt, Sie hatten zuletzt kaum noch Anfragen?

Die Nachfrage ist in den letzten Jahren zurückgegangen, das stimmt. Das liegt daran, dass die Untersuchungen damals, als Cara gegründet wurde, noch neu und viele verunsichert waren. Es gab auch kein Internet, in dem man sich informieren konnte.

Dann braucht es Cara nicht mehr?

Das sieht man in Bremen offenbar anders, ein psychosoziales Beratungsangebot ist ja auch gesetzlich vorgeschrieben. Was aber deutlich wurde, ist, dass wir unser Konzept an die veränderten Bedingungen anpassen müssen. Früher wurde pränatale Diagnostik nur für Frauen über 35 angeboten. Wir haben damals dafür gekämpft, dass es nicht normaler Bestandteil der Schwangerenvorsorge wird – was sich leider als utopische Vorstellung erwiesen hat. Außerdem war unser Selbstverständnis stets, vor der Inanspruchnahme der Diagnostik zu beraten. Das ist fast unmöglich geworden, weil sie nicht mehr wie damals in der 15. Schwangerschaftswoche beginnt, sondern in der zehnten, also quasi mit dem ersten Ultraschall.

Erwarten Sie, dass mit dem neuen Gesetz wieder mehr Menschen den Weg zu Ihnen finden?

Wir hoffen es, können es aber noch nicht einschätzen. Die Frauen sind ja nicht verpflichtet, sich beraten zu lassen.