: Die Schwanz-Einkneifer
Manchmal sind sich der Spiegel und die taz doch einig. Grünes Leuchten war. Der Trend geht zur großen Koalition
Beim Spiegel hatten sie einst schon „lahme Arme, so heftig haben wir das Totenglöckchen für die FDP geläutet“, erläuterte Jürgen Leinemann die Kampagnenfähigkeit beim einstigen „Sturmgeschütz der Demokratie“. „Nun“, fuhr der Autor des Hamburger Magazins fort, „nun arbeiten wir an den Grünen“. Ganz klar müsse Joschka Fischer zurücktreten, wenn sich „die Vorwürfe konkretisieren“, sagte auch Bettina Gaus, die politische Korrespondentin der taz auf einer Podiumsdiskussion der „Stiftung Leben & Umwelt“, dem niedersächsischen Ableger der Grünen-nahen Böll-Stiftung in Hannover. Alles harter Tobak für die Moderatorin der Veranstaltung, Brigitte Pothmer. Die Landeschefin der Grünen konterte, man müsse mittlerweile „schon masochistisch sein“, wenn man täglich die ja vermeintlich artverwandte taz lese. Na ja.
„Rechts blinken, links antäuschen – und ab durch die Mitte!“ Was unterscheidet die Parteien heute noch, wollte Pothmer an diesem Donnerstagabend von den beiden journalistischen Urgesteinen wissen. „Ob in der Steuerpolitik oder bei der Reform der Sozialsysteme – häufig wird nur noch über Kommas und Spiegelstriche gestritten“, sagte Gaus. Leinemann fügte hinzu, zu „vier Fünfteln“ überschnitten sich die großen Parteien, außerdem fehlten „markante Köpfe in der Politik“.
Heute gelte „ehemaliges Taxifahrertum als Teil einer spannenden Biographie“, pflichtete Gaus bei und wunderte sich, wieso denn die „individuellen Erlebnisse“ der Handelnden beim großen Kürzen vergessen würden. Stete Ausrede: die Sachzwänge. Strukturelle Themen wie die Reform des Föderalismus oder die schleichende Entmachtung der Parlamente verliefen sich im Klein-Klein des Politikbetriebs, ärgerte sich Gaus. Die große Koalition sei da, und da war sie sich mit Leinemann einig, einziger Ausweg. Auch die „Gutmenschen“ von den Grünen hätten sich ja an der Macht zu Mehrheitsbeschaffern verschlissen.
Schließlich seien die vermeintlichen Scheidelinien zwischen Schwarz und Rot nur noch symbolischer Art. „Die CDU hätte nicht gesagt, ‚au ja, wir machen jetzt Krieg im Irak‘“, betonte Leinemann. Gaus: „Auch unter Rot-Grün sind Angriffskriege geführt worden.“ Beim Kosovo-Krieg musste das frisch gewählte rot-grüne Bündnis „den Schwanz einkneifen“, bemerkte Leinemann. Selbst bei der Atomkraft enttäuschten die Journalisten die Grüne Pothmer. Gaus: „Frau Merkel wird doch nicht anfangen, ein AKW zu bauen – warum sollte sie?“ In der politischen Debatte würden vor Wahlvolk und Medien Scheingefechte ausgetragen. Pothmer, ungläubig: „Und das sagen die nur, um sich zu unterscheiden – habe ich das richtig verstanden?“ Leinemann: „Ja, das haben Sie richtig verstanden.“ Kai Schöneberg