Störfrei strammstehen

PROTESTE Der Gelöbnis-Abend verläuft ruhig. Das Gelände ist abgeriegelt, die rund 200 Protestierer müssen deutlichen Abstand halten. Zwei Festnahmen

Lässig lehnen die Polizisten und Bundeswehrsoldaten an den Absperrgittern rund um den Reichstag. Auf der Spree schwappen zwei einsame Polizei-Schlauchboote. Nebenan auf der Wiese vorm Bundestag suchen Muttis und Vatis ihren Platz auf der Tribüne, mit Blick auf die Reichstagstreppen. Gleich werden hier, am Montagabend, 413 Bundeswehrrekruten aus Berlin und Siegburg ihr Gelöbnis ablegen. Gegendemonstranten? Nirgends.

Die Militärgegner haben sich vor dem Potsdamer Platz versammelt. Mit Redebeiträgen und Transparenten fordern sie zur Kriegsdienstverweigerung und zum Desertieren auf, verlangen den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Dass sich nur 200 Demonstranten versammelt haben, beschäftigt auch die Veranstalter des Antimilitarismus-Protests. „Wir sind immer weniger, die glauben, dass die Bundeswehr in zwei Jahren aus Afghanistan abgezogen ist“, sagt der Redner der Gelöbnix-Initiative. Damit gehe auch die Bereitschaft, sich an Demos zu beteiligen, zurück. Frank Brendle von Gelöbnix begründet die geringe Teilnehmerzahl dagegen mit der Befürchtung vor einem Polizeikessel am Potsdamer Platz. Eine Stunde bevor das Gelöbnis beginnt, verabschieden sich die Veranstalter von den Teilnehmern mit dem Hinweis, dass einzelne Personen durch die Polizeisperren mindestens bis zum Platz vor dem Brandenburger Tor gelangen würden – und so deutlich näher am Gelöbnisort lautstark gegen die Zeremonie protestieren könnten.

19.15 Uhr, vor dem Reichstag marschieren die Rekruten ein. „Öffentliche Gelöbnisse sind Bekenntnisse zur allgemeinen Wehrpflicht“, krächzt Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) mit angeschlagener Stimme. Merkel probiert es auf die persönliche Art: „Zu diesem Platz, auf dem wir heute stehen, konnte ich zum ersten Mal nach dem Fall der Mauer 1989 gehen. In Ihrem Alter habe ich mich nach Freiheit zutiefst gesehnt.“ Und, wie an die Demonstranten gerichtet: „Jeder, der die Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten genießt, sollte diejenigen wertschätzen, die unsere Freiheit schützen.“

Tatsächlich gelangt eine ganze Reihe Antimilitaristen bis zur inneren Absperrung – dann ist aber Schluss. An den Gittern, die die Straße des 17. Juni vom Tiergarten trennen, bilden sich „Mörder“ rufende Gruppen, auf der Brücke an der Wilhelmstraße steht eine Hand voll Menschen mit einer „Pace“-Fahne und versucht, mit Pfiffen zumindest akustisch zum Gelöbnis vorzudringen. Es bleibt friedlich; trotzdem kommt es zu zwei Festnahmen und 23 Platzverweisen.

Vor dem Reichstag skandieren die Rekruten über die Wiese: „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Plötzlich, kurz nach 20 Uhr, bellen im Tiergarten Polizeihunde. Entfernt sind Sprechchöre zu hören. Bei genauem Hinhören ist „Mörder“ zu verstehen.

Das Musikkorps schmettert mit der Nationalhymne die Protestrufe weg. Auf der Tribüne wird mitgesungen, auch von Bundestagsabgeordneten. Nur die Plätze der Linkspartei sind leer. Sie boykottiert das Gelöbnis.

Nach einer Stunde Strammstehen ist der Festakt vorbei. Alle Gelobenden haben durchgehalten, keiner ist umgekippt. Der 19-jährige Rekrut Alexander Ermakov strahlt. „Das Sprechen des Gelöbnisses war das Highlight.“ Und die Merkel-Rede? „Äh, nein, die leider nicht.“ SVE, KO