: In den Killing Fields von Kongo
Im ostkongolesischen Kriegsgebiet Ituri probt die UNO „robustes Peacekeeping“. Sie bekämpft brutale Milizen. Aber die Demobilisierung der Lendu-Warlords bleibt symbolisch. In Tche warten Opfer ethnischer Vertreibung auf den nächsten Angriff
AUS TCHE CARSTEN STORMER
Eine Schlammwelle schießt durch das Zelt, der beißende Rauch der Lagerfeuer erfüllt die feuchte Luft. Es regnet seit Tagen in Strömen. Müll und menschliche Abfälle werden die Berghänge hinuntergespült. Dicht an dicht stehen tausende halbfertige Hütten und provisorische Unterkünfte aus Plastikplanen. Die Läufe von fünf schweren Maschinengewehren sind auf das Flüchtlingslager Tche gerichtet. Sie sollen 22.000 Flüchtlinge vom Volk der Hema gegen Milizen der Lendu beschützen. Das Lager ist umgeben von feindlichen Milizen. Mit einem Angriff wird jederzeit gerechnet.
Jeanette erträgt es mit stoischer Ruhe – sie hat Schlimmeres erlebt. Das junge Mädchen wurde vergewaltigt, gedemütigt und als Geisel gehalten. Ihre halbe Familie wurde getötet. Jeanette ist fünfzehn.
Täglich vergewaltigt
Der Tod kam am 27. Januar zu ihrer Familie im Dorf Kawa. Jeanette erntete Kassava, als sie Schüsse hörte. Augenblicke später rannten Lendu-Milizionäre der „Front des Nationalistes et Integrationnistes“ (FNI) auf sie zu. Sie wurde nach Leiju verschleppt – ein Camp der FNI. Der Milizenchef, Commander Malo, vergewaltigte Jeanette mehrmals täglich und drohte sie zu töten, sollte sie zu fliehen versuchen oder seine Befehle verweigern.
Zwei Tage später landeten Truppen der UN-Mission Monuc. Den pakistanischen Soldaten bot sich ein schreckliches Bild. Tausende waren auf der Flucht. Verstümmelte Kinder und schwangere Frauen, vergewaltigt und angeschossen, lagen blutend am Boden. Den Flüchtenden war alles genommen worden, sogar die Kleidung. Die UN-Soldaten richteten ein provisorisches Flüchtlingslager ein und nannten es Tche, nach dem nächsten Dorf. Mit Waffengewalt gingen sie gegen die Milizen vor und befreiten 1.500 Geiseln. Nach einer Woche Gefangenschaft gelang auch Jeanette die Flucht. Nach Tagen erreichte sie Tche: ausgehungert, unter Schock, aber am Leben.
Monatelang schützten die UN-Soldaten Lager wie Tche, bis die Lendu-Milizen auch Blauhelme angriffen und neun töteten. Die Monuc stellte allen Milizen Ituris ein Ultimatum, ihre Waffen abzugeben. So kommen nun die Kämpfer aus dem Busch: In dem Dorf Nizi nähern sich drei zerlumpte Gestalten mit erhobenen Armen dem pakistanischen Camp. In ihren Händen halten sie rostige Kalaschnikows. Sie wollen aufgeben.
Fünfzig Dollar sowie die Aussicht auf Rehabilitation und einen Job bietet die UNO jedem, der bereit ist, sich zu entwaffnen. Die Anführer erhalten einen Posten als Oberst oder Hauptmann in der FARDC – Kongos neuer Regierungsarmee. Männer, die grausame Verbrechen begangen und Kindersoldaten zu solchen angestiftet haben, sollen nun als Soldaten für Sicherheit in Ituri sorgen.
Das Angebot von Monuc ist Grund genug für Flori Loguama, seinen Beruf als Kindersoldat, illegaler Zolleintreiber, Plünderer und Vergewaltiger aufzugeben. „Ich habe fünf Frauen vergewaltigt und mehr als fünfzehn Männer getötet“, sagt er stolz. Aber das wurde ihm auf Dauer zu anstrengend. Mit fünfzig Dollar kann man in Ituri eine Menge kaufen – Lebensmittel, Nutten, Alkohol, Kalaschnikows. Flori ist vierzehn.
Verbrannte Dörfer
Auf dem Weg in die FNI-Hochburg Leiju bringt Major Irfan Hashini vom „76. Punjab Batallion“ seinen Panzer zum Stehen. Er soll Handzettel verteilen, die zur Entwaffnung aufrufen. Lesen kann in dieser Gegend kaum jemand. Um Leiju herum liegen die Ruinen unzähliger verbrannter Hema-Dörfer. Im Busch befinden sich bewaffnete FNI-Milizen. Die hohen Sträucher bieten idealen Schutz für einen Hinterhalt. Die pakistanischen Soldaten gehen in Stellung und richten schwere Maschinengewehre auf das Dickicht. Die Anspannung ist den Soldaten deutlich anzumerken: An einem solchen Hinterhalt wurden Ende Februar neun bangladeschische Soldaten massakriert, bei lebendigen Leib wurden ihnen die Augen ausgestochen, Nase und Ohren abgetrennt, die Hände verbrannt. Innereien und die Gehirne der Opfer wurden aufgegessen.
Diesmal greifen die Milizen nicht an. Sie fliehen. Etwa dreißig Kämpfer laufen mit Kalaschnikows und Panzerfäusten die Berghänge hinunter. Als die UN-Kolonne Leiju erreicht, ist das Dorf menschenleer. Die Herdfeuer in den Hütten sind noch warm, auf einigen kocht noch das Mittagessen. Schweine laufen durch das verlassene Dorf. Die Soldaten durchsuchen die Hütten nach Waffen, hinterlassen Handzettel und gehen wieder. „Mehr können wir nicht tun“, meint Major Hashini. „Wir müssen auf den guten Willen der Milizen hoffen.“
Das Ultimatum der UNO scheint zu wirken. „Die Hälfte der Milizen haben ihre Waffen abgegeben. Hunderte kommen jeden Tag hinzu“, sagt kurz vor dem Ablauf Monuc-Pressesprecherin Rachel Eklou im UN-Hauptquartier der Provinzhauptstadt Bunia. Die Stadt ist hermetisch abgesichert. Marokkanische Soldaten patrouillieren durch die Stadt, betrunkene indische Soldaten beschützen das Hauptquartier.
„Faule Kompromisse“
Über 9.000 Kämpfer, so lobte sich am Donnerstag die UNO selbst, sollen in Ituri kapituliert haben – nur wenige Tausend seien noch übrig. Überall in der Region geben Milizen ihre Waffen ab. Aber oft nur ein unbrauchbares Gewehr, ein Stück rostiges Metall. Granaten, Mörser oder Panzerfäuste sind kaum dabei. Dass die meisten Opfer mit Macheten in Stücke gehackt wurden, ignorieren die UN-Führer: Sie brauchen dringend einen Triumph nach den jüngsten Prostitutionsskandalen.
Viele UN-Soldaten halten aber nichts davon, Mördern, Vergewaltigern und Dieben eine zweite Chance zu geben. „Die Milizen verstehen nur Gewalt. Wir haben hier unser Leben riskiert, und jetzt werden faule Kompromisse geschlossen“, sagt ein pakistanischer Offizier verärgert.
Der Ärger nützt nichts: Am vergangenen Samstag mussten die pakistanischen Soldaten Tche an die FARDC übergeben – die Regierungsarmee. Die Flüchtlinge sind nun besorgt und verängstigt. „Monuc hat uns gerettet und beschützt – wer soll es tun, wenn die Pakistanis weg sind?“, fragt Jeanette mit zitternder Stimme. Neben ihr sitzt ein kleines Mädchen. Ein Machetenhieb hinterließ eine breite Wunde vom Mundwinkel bis zum Ohrläppchen. „Die Lendu lachen nur über die Entwaffnung“, sagt Jeanette. Sie hätten den Flüchtlingen schon gedroht: Macheten können genauso effektiv sein wie Kalaschnikows – sobald Monuc abgezogen ist.