: „Visafreiheit sollte für alle sein“
EU-BALKANPOLITIK Der Präsident des Kosovo, Fatmir Sejdiu, kritisiert die von Brüssel geplante selektive Visaregelung für den Balkan und sieht darin eine Ungerechtigkeit
■ Am 9. Januar 2008 wurde Fatmir Sejdiu zum ersten Präsidenten des unabhängigen Kosovo gewählt. Er hatte das Amt schon seit 2006 inne. Davor arbeitete Sejdiu als Professor für Rechtsgeschichte an der Universität Prishtina.
INTERVIEW ERICH RATHFELDER
taz: Herr Sejdiu, der Vorschlag aus Brüssel, die Visaregelung für Serbien, Montenegro und Makedonien neu zu gestalten, für Bosnien und Herzegowina, Kosovo sowie Albanien aber nicht, hat zu europaweiten Protesten geführt. Wie sehen Sie das in Bezug auf das Kosovo?
Fatmir Sejdiu: Wir haben im Kosovo eine besondere Situation. Es ist wirklich unglücklich, dass das Kosovo von diesem Prozess der Visaneuregelung ausgeschlossen und auch Albanien am Ende der Schlange gelandet ist. Es gibt Möglichkeiten, uns in den Prozess miteinzubeziehen. Obwohl wir ein junger Staat sind, haben wir es geschafft, einen Rahmen für die Gesetzgebung zu schaffen, der den EU-Standards entspricht, und wir werden uns weiter bemühen.
Serben dürfen in die EU reisen, andere nicht. Das hat die Opferverbände und auch viele Bewohner Kosovos aufgebracht.
Viele Menschen empfinden es als ungerecht, dass die EU Serbien in dieser Weise unterstützt und vorzieht, obwohl es doch gerade Serbien war, das die Zerstörung der ganzen Region in den letzten Jahrzehnten zu verantworten hat und sogar immer noch die vom UN-Tribunal in Den Haag als Kriegsverbrecher gesuchten Personen beschützt und damit wesentliche Forderungen der EU ignoriert.
Sie wollen also nicht, dass Serbien in Genuss der neuen Visaregelung kommt?
■ Die EU-Kommission will den Einwohnern Serbiens, Makedoniens und Montenegros ermöglichen, ab dem 1. Januar 2010 ohne Visum in die EU einzureisen. Ausgeschlossen von dieser Regelung sind Bosnien-Herzegowina, das Kosovo und Albanien. Allerdings haben kroatische und künftig auch serbische Bosnier das Recht auf Doppelstaatsbürgerschaft und können so in den Genuss der Reisefreiheit kommen. Das gilt auch für serbische Kosovaren. Den bosnischen Muslimen und der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo bleibt das Reisen ohne Visa verwehrt. Aus Protest gegen diese Pläne der EU haben Tobias Bütow von der Heinz-Schwarzkopf-Stiftung und taz-Korrespondent Erich Rathfelder eine Unterschriftenkampagne initiiert, die Reisefreiheit für alle fordert. www.balkangoeseurope.eu
Wir sehen es als positiv an, wenn die gesamte Region in den europäischen Integrationsprozess einbezogen ist. Und dazu gehört auch der visafreie Verkehr für alle. Die Differenzierung der Länder in der Region verursacht Probleme. Wir werden die Integration Serbiens in die EU nicht unterstützen, solange es nicht aufhört, eine irrationale Herangehensweise an die Dinge hier zu wiederholen. Wir unterstützen aber Serbien, in die EU aufgenommen zu werden, wenn es eine europäische Haltung einnimmt und sich entsprechend verhält. Serbien kann nicht von der EU profitieren und gleichzeitig immer wieder Probleme für die Region bereiten. So es ist ungerecht, dass die EU Serbien in diesem Falle so große Unterstützung zukommen lässt, ohne Serbien aufzufordern, die Politik der Zerstörung Kosovos endlich zu beenden.
Soll Serbien Ihrer Ansicht nach also erst in die EU aufgenommen werden, nachdem es die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt hat?
Ich glaube, es ist sogar besser für Serbien, die Unabhängigkeit Kosovos anzuerkennen. Das Rad der Geschichte kann nicht mehr zurückgedreht werden und es ist international kein Wille zu erkennen, am jetzigen Status zu rütteln. Kosovo war ungerechterweise von Serbien okkupiert, das ist die geschichtliche Wahrheit. Und so ist es entscheidend, zu erkennen, dass die Menschen im Kosovo sich zwar jahrzehntelang der Macht beugen mussten, diese aber nicht akzeptiert haben.