Der Präsident und die Paragrafen

JUSTIZ Hauskredit, Gratisurlaube, Mailbox-Anruf: Hat Christian Wulff illegal gehandelt? Eine Bewertung möglicher Rechtsverstöße

■ (1) Ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ein Richter oder Schiedsrichter, der einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er eine richterliche Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar. (3) Die Tat ist nicht nach Absatz 1 strafbar, wenn der Täter einen nicht von ihm geforderten Vorteil sich versprechen lässt oder annimmt und die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse entweder die Annahme vorher genehmigt hat oder der Täter unverzüglich bei ihr Anzeige erstattet und sie die Annahme genehmigt.

VON CHRISTIAN RATH

Christian Wulff will Bundespräsident bleiben. Er hat zwar seinen Nimbus als moralisches Vorbild verloren, doch die Rufe nach einem Rücktritt ignoriert er. Schließlich habe er nicht rechtswidrig gehandelt. Wirklich? Ein Überblick über die rechtlichen Maßstäbe.

Vorteilsannahme: Am gefährlichsten ist für Wulff der strafrechtliche Vorwurf der Vorteilsannahme – ein Korruptionsdelikt, das im Strafgesetzbuch geregelt ist. Danach ist es strafbar, wenn ein Amtsträger für die Dienstausübung einen Vorteil annimmt. Die Dienstausübung kann dabei durchaus rechtmäßig sein (ist sie rechtswidrig, liegt das schwerwiegendere Delikte „Bestechlichkeit“ vor).

Früher galt als Korruption nur die Gewährung von Vorteilen für konkrete Amtshandlungen. Doch seit 1997 ist es schon strafbar, wenn ein Vorteil für die Dienstausübung im Allgemeinen versprochen wird. So sollte auch erfasst werden, dass sich jemand das generelle Wohlwollen eines Amtsträgers erkauft. Damit entstanden aber große Abgrenzungs- und Beweisprobleme, die bisher der Bundesgerichtshof nicht lösen konnte. Letztlich gibt das Rechtsgefühl von Staatsanwälten und Richtern im Einzelfall den Ausschlag.

Bei Christian Wulff stehen derzeit drei Konstellationen möglicher Vorteilsannahmen zur Diskussion: 2008 machte das Ehepaar Wulff Urlaub in einer Villa des Versicherungsmanagers Wolf-Dieter Baumgartl in Italien. Zuvor hatte sich die niedersächsische Landesregierung für die Steuerfreiheit der Erträge aus Lebensversicherungen eingesetzt. Baumgartl war zum Zeitpunkt des Urlaubs Aufsichtsratsvorsitzender der Talanx-Gruppe und mit Wulff wohl erst befreundet, seit jener Macht und Einfluss hatte.

Ob beim Anruf von Christian Wulff auf die Mailbox von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann eine versuchte Nötigung vorliegt, hängt auch davon ab, was Wulff wohl mit dem angedrohten „Krieg“ gemeint hat

Ebenfalls 2008 nahm Wulff von der befreundeten Unternehmergattin Edith Geerkens ein zinsgünstiges Darlehen über 500.000 Euro an. Später flog ihr Mann Egon Geerkens drei Mal in Wulffs Delegation bei Auslandsreisen mit. Geerkens hat die Reisen allerdings bezahlt und ist schon lange mit Wulff persönlich befreundet.

2010 ersetzte Wulff den Geerkens-Kredit durch einen Kredit der BW-Bank, wiederum zu günstigen Konditionen. Zuvor hatte Wulff als Mitglied des VW-Aufsichtsrats geholfen, Porsche zu retten. Porsche war ein wichtiger Kunde der LBBW-Bank, der Mutter der BW-Bank.

Bei der Staatsanwaltschaft Hannover gingen mehrere Strafanzeigen gegen Wulff ein. Doch laut Spiegel sah diese bisher keinen Grund, Ermittlungen aufzunehmen.

■ (1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Untreue: Im Zusammenhang mit dem Wulff-Kredit gingen bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart auch Strafanzeigen gegen Mitarbeiter der BW-Bank ein. Wenn Wulff ungerechtfertigte Vorteile erhalten hat, könnte dies eine Untreue zu Lasten der Bank sein. Wulff könnte hierzu Beihilfe geleistet haben. Anfang Januar teilte die Staatsanwaltschaft aber nur mit, sie prüfe die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.

Ministergesetz: Als niedersächsischer Ministerpräsident war Wulff an das dortige Ministergesetz gebunden. Paragraf 5 Absatz 4 besagt: „Die Mitglieder der Landesregierung dürfen, auch nach Beendigung ihres Amtsverhältnisses, keine Belohnungen und Geschenke in Bezug auf ihr Amt annehmen.“ Eine Verwaltungsvorschrift erläutert, dass dazu auch „zinsbegünstigte“ Darlehen gehören.

In Betracht kommen die gleichen drei Vorfälle wie bei der Vorteilsannahme. Strittig ist vor allem, ob Wulff dabei „Belohnungen und Geschenke“ erhalten hat und ob dies „in Bezug“ auf sein Amt geschah. Um dies zu klären, könnte ihn der Niedersächsische Landtag mit Zweidrittelmehrheit beim Niedersächsischen Staatsgerichtshof anklagen. Dieser müsste dann prüfen, ob Wulff „in Ausübung des Amtes“ vorsätzlich ein Gesetz verletzt hat. Da die CDU einen solchen Antrag kaum mittragen wird, wurde Wulff schon empfohlen, selbst beim Staatsgerichtshof einen Antrag auf Überprüfung der Vorwürfe zu stellen. Auch das ist nach Artikel 40 der Landesverfassung möglich.

■ (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. eine andere Person zu einer sexuellen Handlung nötigt,2. eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder3. seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht.

Bei einer Verurteilung könnte das Gericht Christian Wulff das niedersächsische Regierungsamt entziehen. Da er es aber gar nicht mehr innehat, wäre die Verurteilung nur noch von politischem und symbolischem Gewicht.

Nötigung: Der einzige rechtliche Vorwurf, der Wulffs Amtszeit als Bundespräsident betrifft, bezieht sich auf die Anrufe bei Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann und Springer-Chef Mathias Döpfner. Ob hier eine versuchte Nötigung vorliegt – was ebenfalls eine Straftat wäre (§ 240 Strafgesetzbuch) –, hängt zum Beispiel davon ab, was Wulff wohl mit dem angedrohten „Krieg“ gemeint hat. Wenn er dabei eine rechtswidrige Benachteiligung meinte, ginge dies in Richtung Nötigung, wenn aber nur der Entzug bisheriger Privilegien gemeint war, wäre dies zulässig. Auch hier könnten – nach Strafanzeigen oder aus eigenem Antrieb – Staatsanwälte ermitteln.

Dieses Verhalten könnte parallel aber auch zum Anlass für eine Anklage des Bundespräsidenten beim Bundesverfassungsgericht genommen werden. Die Karlsruher Richter könnten Christian Wulff gegebenenfalls das Amt entziehen. Zuvor müssten aber (laut Artikel 61 Grundgesetz) zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten oder zwei Drittel der Bundesratsmitglieder die Anklage unterstützen. Dieser in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie praktizierte Weg ist freilich mehr als unwahrscheinlich: Bisher denkt nur die Linkspartei darüber nach.