: Krrr krrr, mmmh mmmh, pfff pfff!
Flüchtlingsdrama: Uraufführung der Henning-Mankell-Oper „Butterfly Blues“ in der Opera Stabile. Musikalische Bodenlosigkeit trifft auf ein Thema, dessen Ernst weniger luftig ist
„Halt! Bitte zeigen Sie Ihren Ausweis vor! Vergessen?! Dann bleiben Sie draußen!“ – Mit Schikane beginnt die Uraufführung des dritten Werkes von Jörn Arnecke für die Hamburgische Staatsoper: Wortlos eskortiert der Werkschutz der Staatsoper die ausweislosen Premierenbesucher auf ihre Sitzplätze. Sträflinge!
Dann schwappen die ersten Töne „Butterfly Blues“ auf der Bühne von links nach rechts. Zwei Frauen auf einem Flüchtlingsboot auf hoher See. Unsichere, zittrige Töne flirren durch den Raum. Die zwei Frauen reisen von Afrika nach Europa. Reisen? Der Schlepper wirft sie über Bord, ans Ufer müssen sie alleine schwimmen. Illegale!
An Europas Ufer trifft Schwarz auf Weiß: Die in schwarze Tücher gehüllten Frauen werden von Männern in weißen Anzügen drangsaliert: eingesperrt, vergewaltig, ausgenutzt, beschimpft. Die ausgewiesenen Notausgänge und Fluchtwege (Bühne: Oliver Helf) existieren für sie nicht. Klar und eindrücklich inszeniert Regisseur Christoph von Bernuth die Handlung nach der Vorlage von Henning Mankell. So, dass man darüber die Musik ein ums andere Mal vergisst.
Die anfänglich einzelnen Töne vereinen sich zu Klängen, je mehr Land die Frauen Ana und Sara unter den Füßen gewinnen. In der zweiten Szene verschmilzt der Sporan von Ingrid Frøseth mit einer Flöte zu einem intimen Lamento. In diesem wie in anderen Momenten passt die Partitur den vier SängerInnen wie angegossen. Mit spielerischer Leichtigkeit singen sie im Huckepack, auf dem Boden liegend oder auf allen Vieren. Oder lautieren nur Konsonanten: Krrr krrr, mmmh mmmh, pfff pfff!
Doch mit Fortgang der Handlung verschwören sich die rhythmischen Orchester-Einschübe gegen die Frauen: Laute expressive Schläge treiben einen LKW-Fahrer eine Treppe hinauf, parallel dazu steigen Schritt für Schritte die Töne und am Schluss der Szene vergewaltigt der Fahrer Ana, die ihr Schicksal marionettengleich erträgt.
Kulminationspunkt ist ein eindringlicher Rhythmus in den letzten zwei Szenen. Mit Sextolen und Septolen für das gesamte Orchester erzeugt der 31 Jahre junge Jörn Arnecke eine oszillierende Bodenlosigkeit, die im Gegensatz zu der schweren Handlung steht.
Je weiter die von Henning Mankell Klischee beladene Problematik jedoch in den Hintergrund tritt, um so mehr kann der Hörer sich auf Jörn Arneckes musikalische Ideen konzentrieren, ohne dabei das politische Thema aus den Augen zu verlieren.Christian T. Schön
Weitere Aufführungen: 12., 15., 18., 24.4., jeweils 20 Uhr, Staatsoper, Kleine Theaterstraße