: Kreuzzug der Kritiker
Parteien, Religionsgemeinschaften und Initiativen laufen Sturm gegen die SPD-Entscheidung für einen verbindlichen Werteunterricht. CDU fordert Bögers Rücktritt. Zustimmung von den Grünen
VON MATTHIAS LOHRE
Wer nicht nur Parteien und Religionsgemeinschaften gegen sich hat, sondern auch Günther Jauch, hat ein Problem. Der TV-Moderator gehört neben den Kirchen in Berlin, der Jüdischen Gemeinde und 50 Prominenten zu den Unterzeichnern eines Aufrufs gegen die SPD-Entscheidung für verbindlichen Werteunterricht ab dem Schuljahr 2006/07. Darin warnen sie vor einer „ideologischen Engführung“ durch die Absage an ein Wahlpflichtfach Religionsunterricht.
Dass Bildungspolitik zu einem Reizthema geworden ist, zeigten auch die rund 1.000 Demonstranten vor dem Berliner Conference Center am Alexanderplatz am Samstagmorgen. Sie forderten von den SPD-Delegierten eine Kehrtwende in Sachen Bildung. Es kam bekanntlich anders. Die Reaktionen bei Parteien und Religionsgemeinschaften waren entsprechend heftig.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Nicolas Zimmer bezeichnete den Parteitagsbeschluss als „fatal für die Schülerinnen und Schüler und eine unverantwortliche Ausgrenzung der Religionsgemeinschaften“. Zimmer forderte den Rücktritt von Bildungssenator Klaus Böger (SPD), da ihm nach der Abstimmungsniederlage der Rückhalt in der eigenen Partei fehle. Die CDU und die katholische Kirche haben bereits Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Experten räumen diesen jedoch wenig Chancen ein.
Als „sozialistisch versuchte Gleichschaltung der Gedanken“ kanzelt die FDP den geplanten Werteunterricht und die „Einheitsschule“ ab. Im künftigen Schulfach LER – falls es denn so heißen wird – würden „die zu vermittelnden Werte staatlich verordnet“, kritisiert die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Mieke Senftleben. Die Liberalen fordern ein Wahlpflichtfach Religion mit der Alternative Ethik/Philosophie.
Der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber befürchtet, dass ein freiwilliger Religionsunterricht durch den verbindlichen Werteunterricht „ausgetrocknet würde“. Zudem sei eine freiwillige Unterrichtseinheit Religion schulorganisatorisch nicht zu machen. Huber befürwortet die Brandenburger Lösung, die eine Abwahl des Werteunterrichts zugunsten des Religionsunterrichts ermöglicht. Bei Protest will es die evangelische Landeskirche nicht belassen: „Wir werden uns weiter für einen gleichberechtigten Religionsunterricht in den Schulen einsetzen“, sagte Sprecher Markus Bräuer. Gegenwind kommt auch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sie spricht sich gegen das neue Schulfach aus und plädiert dafür, Informationen über Religionen und Wertevermittlung in bestehende Unterrichtsfächer zu integrieren.
Doch es gibt auch positive Reaktionen. Die Grünen begrüßen die Entscheidung für LER. „Wir erwarten nun aber auch die konsequente Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen und eine entsprechende Ausbildung von LehrerInnen für dieses Fach“, sagten die Landesvorsitzenden Almuth Tharan und Till Heyer-Stuffer. Auch das Votum der SPD für Gemeinschaftsschulen mit Ganztagsbetreuung findet ihre Zustimmung. Gleiches gilt für die Verkleinerung von Schulklassen in sozialen Brennpunkten und das Festhalten am gebührenfreien Erststudium.
Auch die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union sieht die SPD im Recht. Werteunterricht biete die Möglichkeit, „dass Vielfalt akzeptiert wird, die Rechte Andersgläubiger und Andersdenkender anerkannt und demokratische Spielregeln eingeübt werden“, sagte die Landesvorsitzende Nina Helm.
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