: SPD wertet Böger ab
Parteitag votiert mit großer Mehrheit für ein verpflichtendes Wertefach für alle Schüler. Kostenfreie Kitas und Gemeinschaftsschule werden als Fernziele festgeschrieben, Studienkonten befürwortet
VON SABINE AM ORDE
Klaus Böger musste am Samstag eine empfindliche Niederlage einstecken: Gegen den erklärten Willes ihres Bildungssenator entschied die SPD auf dem Landesparteitag, dass es in Berlin künftig ein verpflichtendes staatliches Wertefach für alle SchülerInnen geben soll. Wer will, kann zusätzlich am Religionsunterricht teilnehmen. Abwählen kann man das Wertefach aber nicht. Genau dafür hatten Böger, aber auch die Kirchen, CDU und FDP gestritten. Das neue Fach soll bereits im Schuljahr 2006/2007 in der Klasse 7 unterrichtet werden.
Auch über die Schulstruktur will die SPD künftig debattieren: Als „bildungspolitische Perspektive“ sprach sich der Parteitag dafür aus, das gegliederte Schulsystem zugunsten einer Gemeinschaftsschule bis zur 10. Klasse abzuschaffen – allerdings ohne konkrete Schritte zu benennen, wann und wie sie dieses Ziel erreichen will. Auch die Strukturdebatte hätte Böger gerne verhindert.
Für das neue Wertefach stimmten 166 Delegierte, 51 votierten dagegen. Der Abstimmung war eine mehrstündige heftige und zum Teil sehr emotionale Debatte vorausgegangen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit sprach sich in einer engagierten Rede klar für ein gemeinsames Wertefach aus: Besonders vor dem Hintergrund der Integrationsprobleme in der Stadt sei es wichtig, dass Kinder christlichen oder muslimischen Glaubens und auch Atheisten sich in einem gemeinsamen Fach austauschen: „Vielfalt ist angesagt und nicht Separation.“ Ein bekenntnisfreies Pflichtfach sei keine Konkurrenz, sondern ein zusätzliches Angebot zum freiwilligen Religionsunterricht, sagte Wowereit, der großen Beifall für seine Rede erhielt. Ähnlich hatte sich zuvor bereits Partei- und Fraktionschef Michael Müller positioniert.
Dagegen warb Bildungssenator Böger wie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Ex-Bundesfamilienministerin Christine Bergmann nachdrücklich für das Wahlpflichtmodell, das sich in den meisten Bundesländern bewährt habe. Einzelne VerfechterInnen dieser Lösung warfen der Gegenseite Kirchenfeindlichkeit vor und warnten vor Ausgrenzung.
Um den Streit – auch mit den Kirchen selbst – abzumildern, wurde der Antrag zur Einführung des neuen Wertefachs erweitert. Jetzt sind gemeinsame Projekte zwischen den Religionsgemeinschaften und dem neuen Fach ausdrücklich erlaubt.
Bei den anderen Themen ging es im Congress Center am Alexanderplatz weit weniger hitzig zu, obwohl sie bildungspolitisch viel größere Konsequenzen haben könnten. Selbst Bildungssenator Böger stimmte schließlich für den Leitantrag, der auch „eine Schule für alle“ als Ziel formuliert. Obwohl keinerlei Fahrplan für den Weg zu diesem Ziel vorgesehen ist, wurde der Antrag in diesem Punkt weiter abgeschwächt. So soll zunächst einmal „mit Schülern, Eltern, Lehrer und Wissenschaftlern“ über die Strukturreform diskutiert werden.
Ähnlich wachsweich sind die Formulierungen, bei denen es um die Einführung der kostenfreien Kindertagesstätten geht, „beginnend für Kinder, die das letzte Jahr einer Kita besuchen“. Zudem verabschiedete die SPD ein Sofortprogramm für Bildungseinrichtungen in den sozialen Brennpunkten. Der Parteitag sprach sich auch – gegen die heftige Kritik der Jusos – für die Einführung von Studienkonten aus. Langzeitstudierende würden dann zur Kasse gebeten. Eine Einführung ist wegen des Widerstands der PDS-Basis allerdings frühestens nach den Wahlen 2006 möglich.
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