: Filmpreis Surprise
Bully Herbig ante portas: Die deutsche Filmbranche darf sich erstmals selbst den Deutschen Filmpreis überreichen – doch der Streit darum reißt nicht ab. Kunst oder Kommerz, das ist die große Frage. In Mannheim formiert sich derweil die Gegeninitiative: Dort wurde soeben der „Filmkunstpreis“ gestiftet
VON DIETMAR KAMMERER
Die Deutsche Filmakademie versteht sich als Zusammenschluss der Kreativen der Leinwandunterhaltung, als Forum für Austausch, Unter-die-Schulter-Greifen und „Get togethers“, und nicht zuletzt, dank geballter Prominenz, für die Werbung fürs Gemeinsame: den deutschen Film. Kein unsympathisches Vorhaben. Dass die Akademie seit ihrer Gründung dennoch von heftigen Kontroversen begleitet wird, liegt vor allem an dieser anderen Sache: der Übernahme der Verleihung des Deutschen Filmpreises.
Eigentlich „Filmband“ in Gold oder Silber, heute neckisch „Lola“ genannt, wurde der Filmpreis seit 1951 vom deutschen Staat vergeben. Aber in diesem Jahr bestimmt statt einer Jury zum ersten Mal ein kompliziertes dreistufiges Verfahren aus Vorauswahl, Nominierung und Wahl die Preisträger, beteiligt sind ausschließlich die Mitglieder der Filmakademie in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Die Entscheidungen der bisherigen zwölfköpfigen Jury seien undemokratisch gewesen, argumentieren die Befürworter des neuen Modells; eine Jury müsse ihre Entscheidung wenigstens gemeinsam diskutieren und begründen, entgegnet die andere Seite und setzt hinzu, dass statt des „künstlerischen Rangs“ eines Films von nun an seine Massentauglichkeit belohnt werde, denn auf etwas anderes als diesen kleinsten gemeinsamen Nenner könne sich eine Masse an Stimmberechtigten gar nicht festlegen.
Man kommt zu keiner Einigung. Seit zwei Jahren hagelt es offene Briefe an Kulturstaatsministerin Christina Weiss, werden flammende Plädoyers für die eine oder andere Position gehalten, meistens geht es um die Übernahme des Filmpreises, oft um die Existenz der Akademie als solche, manchmal um Aufnahmekriterien oder Satzungsdetails. Die Heftigkeit der Diskussion ist verständlich, schließlich sind die mit insgesamt 3 Millionen Euro dotierten Preise die mit Abstand lukrativste Kulturauszeichnung hierzulande. Allein eine Nominierung als bester Spielfilm ist 250.000 Euro wert. Ohne die Verfügungsgewalt über die „Lolas“ wäre die Filmakademie vermutlich niemals vom Boden gekommen – und wegen ihr steht sie unter Dauerkritik. Ob die Kontroverse um die Akademie zur „Stimulanz“ in der Branche führe, wie Akademiepräsident Günter Rohrbach freudig erhofft, oder eher zu Misstrauen und einer Vertiefung der Kluft, wird man spätestens nach der Gala-Verleihung im Juni erkennen. Als Rohrbach davor warnen wollte, unnötig den Teufel Mainstream an die Wand zu malen, schrieb er ironisch: „Bully Herbig ante portas!“ Genau der ist jetzt mit „(T)Raumschiff Surprise“ als Bester Spielfilm in der Vorauswahl, gerade so, als wolle man den Kritikern noch Wasser auf ihre Mühlen schütten.
Eine andere Streitschrift haben jüngst die Dokumentarfilmer eingereicht. Der deutsche Dokumentarfilm, mit rund 60 Prozent Zuschauerzuwachs im Jahr der neue Liebling des Kinopublikums, werde im Filmpreis nicht ausreichend gewürdigt. 4 Kandidaten für die Vorauswahl und 2 Nominierungen für den besten Dokumentarfilm – zu wenig für dessen wahre Bedeutung, meint Thomas Frickel von der AG Dokumentarfilm. In Verhandlungen mit Kulturstaatsministerin Weiss fordert man jetzt eine dritte Nominierung ein.
Vielleicht ist es gut, dass sich die Filmakademie zurzeit wieder auf ihre andere Stärke besinnen kann: Promotion durch Prominenz. Damit die Akademiemitglieder die Filme der Vorauswahl nicht einsam vom Fernsehsessel aus auf DVD begutachten müssen – ohnehin die denkbar ungeeignetste Form, den Wert eines Leinwandfilms einzuschätzen –, gibt es das „Lola-Festival“. Kinos in Berlin, Hamburg, Köln und München zeigen bis Juni sämtliche ausgewählten Filme, die Vorführungen sind öffentlich, das Publikum ist ausdrücklich eingeladen, mit den anwesenden Filmschaffenden über deren Werke zu diskutieren.
Auch die Freunde der Kunst dürfen aufatmen. In Mannheim wurde jetzt das „Festival des deutschen Films“ gegründet, auf dem Anfang Juli 20 Filme, „konsequent ausgewählt unter dem Gesichtspunkt der künstlerischen Qualität“, um den neu gestifteten „Filmkunstpreis“ konkurrieren. Der ist mit 50.000 Euro zwar deutlich niedriger dotiert; aber dass seine Initiatoren es ernst meinen mit dem Kunstwollen, zeigen die Auswahlkriterien: Während die „Lola“ nur an Spielfilme vergeben wird, die mit mindestens zehn Kopien gestartet sind, gilt in Mannheim als einzige Bedingung umgekehrt: Keiner der Filme darf bereits in einem Kino kommerziell ausgewertet worden sein.