SUSANNE LANG über DIE ANDEREN
: Herr von Schönburg, wir müssen reden!

Der soziale Abstieg ist kein Beinbruch, wenn er stilvoll über die Bühne geht – erklärt uns ein Held der Armut

Ein Fenster, so sagt Frau Fromm, sei der edelste Zeitvertreib. Frau Fromm wohnt im 2. Stock unseres Miethauses. Eine Dame. Eine der wenigen über 60, die selten jammern. Frau Fromm sitzt jeden Spätnachmittag an ihrem Fenster und beobachtet die Welt, immer dann, wenn sie besonders bunt ist. Frau Fromm malt sich die Menschen aus, hinter den Masken.

Manchmal übte auch ich diesen Zeitvertreib. Heimlich, an einem perfekten Fenster. Einer der Edelitaliener Berlins, einer, dessen Fenster eine Front aus Glas ist. Die Front verläuft genau an der Grenze zwischen Berlin-Mitte-Anzugträgern, gelangweilten Kreuzberg-Jeans-Jungs und Bundesministern, die ihre Bodyguards draußen auf Abruf halten. Sie verläuft genau zwischen dem Unten und dem Oben.

Ein idealer Ort auch, um hier den Mann zu treffen, der gerade mit einem Buch nicht nur die Spiegel-Bestsellerliste erobert (Platz 3, seit heute), sondern diesen Anzugträgern ein Geheimnis verkauft, das ihr Lebensglück anders ausmalt: „Die Kunst des stilvollen Verarmens – wie man ohne Geld reich wird“. Alexander von Schönburg, 36. Ein Literat, der seinen Lesern zuallererst im 90er-Jahre-Stil die Welt auseinander nahm („Tristesse Royal“), ein Journalist, der den New-Economists ihre Hauptstadtgeschichten schrieb (FAZ-Berliner-Seiten), ein Zeitenlaufsurfer, der ebenjenen Lesern etwas später das Rauchen abgewöhnte („Der fröhliche Nichtraucher“).

Alexander von Schönburg ist eine halbe Stunde zu früh. Kaut schon Weißbrot (aus dem Korb vom Nebentisch), fragt nach einer Zigarette (manchmal gönne er sich eine) und bestellt eine Tasse Kaffee (nicht Latte Macchiato). Sozial absteigen ohne zugrunde zu gehen heißt sein Geheimnis, das so viele Menschen plötzlich beherrschen können wollen. Hartz IV. Die Mittelschicht. Die Anzugträger. Verarmen, so heißt ihre Angst. Stilvoll, so heißt die Maxime. Die Kunst, so heißt das Geheimnis, das von Schönburg verraten will, weil er sich mit der Erfolglosigkeit abgefunden hat, nachdem die FAZ mit den Berliner Seiten auch seine Stelle eingespart hatte.

Und Alexander von Schönburg erklärt sich. Mit einer Stimme, als müsse er das gesamte Luxus-Italiener-Publikum aufrütteln, mit einer Verve, als müsse er sie alle retten, mit einer Aufrichtigkeit, als müsse er allen entgegenschreien, dass er nicht der adlige Arsch sei, der zynische Popliterat, der Hedonist, für den ihn so viele halten, insbesondere die socially Korrekten. „Die Zeit des Wohlfahrtsstaates ist vorbei.“ All die Ichbezogenheit, die Automanie, der Fernsehvermüllungszeitvertreib, der Wachstumswahn, kurz: das Status- und Prestigedenken, das sich aus Geld und Luxus speist.

„Konsumverzicht“, sagt er, so sieht der Ausweg aus. „Ich bin so etwas wie der Vorleber“: von Schönburg, dessen adelige Vorfahren bereits seit 500 Jahren Sozialabstieg durchlebten; der heute, nach den Jahren mit gesperrtem Konto, mit Frau und drei Kindern in einer Potsdamer Mietwohnung ein schlichteres Leben lebt. Ein früher Held der Armut. Ich notiere alles, gern, mit Verständnis. Diesen Standpunkt, so war ich doch sicher, teilten so viele Manufactum-Einkäufer und Drei-Liter-Auto-Fahrer, alle unterbezahlten Idealisten, und links-hedonistischen Nebenjobber. Eigentlich, so wunderte ich mich leise, sind diese Ideen doch zu banal, um ein Bestsellerformat zu tragen. Vielleicht bin ich zu spät geboren. Vielleicht auch nur nicht naiv. Pragmatisch, wie uns ja vorgeworfen wird. Angepasst.

Der Schaum meines Latte Macchiato fällt langsam in sich zusammen. „Statusdenken lässt sich nicht abschaffen“: von Schönburg, dem schon bald wieder ein hoher Posten winken könnte bei einem neuen Gesellschaftsmagazin. „Anerkennung und Distinktion sind ein Grundbedürfnis unserer Gesellschaft“, aber die Codes hätten sich geändert, heute, mitten in dem, was da Krise heißt: „Jetzt ist Bescheidenheit en vogue. Solidarität, auch ohne den Staat.“

Heute säßen die Exhedonisten mit verschlissenen Pullis lieber zu Hause, als schön essen zu gehen. Heute seien es die jungen Altlinken, die ihm seinen Konsumverzicht vorwerfen würden, dass, aber hallo, doch die Inlandsnachfrage angekurbelt werden müsse. Wenn er sich ideologisch verorten sollte, das wollte ich noch wissen, wo würde ich ihn finden? „Ich bin Romantiker“: Alexander von Schönburg mit weinrotem Einstecktuch unter dem klassischen Pullover.

Später am Abend, als ich Frau Fromm an ihrem Fenster sitzen sah und grüßte, sagte sie etwas müde, man sehe ja nur noch Weder-noch-Gestalten da draußen. Ich war mir nicht so sicher.

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