Die Sexmaschinen

Eine neue Generation grotesker Roboter verspricht diskrete Triebabfuhr auf High-Tech-Niveau – absolut „gefühlsecht“, ohne die lästigen Gefühle

VON ARIEL MAGNUS

Die erste Sexpuppe wurde angeblich von den Nazis gebaut. Das so genannte Borghild-Projekt – so liest man in der einzigen zum Thema verfügbaren Webpage – ging auf eine höchstpersönliche Initiative von Heinrich Himmler zurück, der in den „wilden Dirnen“ von Paris „die größte Gefahr“ und in den Puppen ein Instrument zur „Triebregulierung des Landsers“ sah. Im Deutschen Hygiene-Institut Dresden unter Leitung von Franz Tschakert – Vater der gläsernen Frau, jener, so sagt man es gerne, Vorgängerin des heutigen „virtuellen Menschen“ – entstand 1941 die erste „anthropomorphische Lustmaschine“, natürlich dem „nordischen Typus“ entsprechend. Begeistert von diesen Überdirnen soll Himmler gleich 50 Exemplare bestellt haben, die in „fahrbaren desinfizierbaren Kabinen“ nach Russland geschickt werden sollten. Doch durch die Entwicklung an der Ostfront verlief sich das Projekt im Sande. Von den Nazi-Puppen – zusammengeleimte oder zusammengereimte – verlor sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Spermaspur.

Jahre später wurden aufblasbaren Puppen populär. Populär vor allem, weil niemand jemals richtig verstehen konnte, wieso es Menschen gibt, die mit einer à la Eduard Munch schreienden Luftmatratze schlafen. Die Hersteller gaben sich Mühe, ihre pneumatischen Liebhaberinnen mit motorischen Annehmlichkeiten zu versehen. Doch vergeblich: Das Plastik erforderte immer noch mehr Vorstellungskraft als die eigene Hand. So wurden diese potenziellen Objekte der kurzlebige Begierde zu dauerhaften Spaßobjekten mit gewaltigem Komikpotenzial. Bis dann Ende des Jahrhunderts – diesmal auf der Seite einer der ehemaligen Alliierten – ein Wunder vermeldet wurde: die Real Dolls.

Schöpfer dieser revolutionären, hyperrealistischen Sexpuppen war der aus Kalifornien stammende Mathew McMullen, von Beruf Bildhauer. McMullen experimentierte Mitte der Neunzigerjahre mit Silikon, stellte seine Entwürfe ins Internet und erhielt bald eine alles entscheidende E-Mail: „Wenn ich mit deiner Puppe Sex haben kann, kaufe ich sie dir ab“, las er da.

„Als ich mich entschlossen hatte, Sexpuppen zu bauen“, erinnert sich McMullen, „musste ich mich mit vielen Problemen auseinander setzen. Die Puppen sollten nicht nur real aussehen, sondern sich auch real anfühlen. Ich musste die Natur mit Silikon nachahmen.“ 1996 brachte der amerikanische Pygmalion seine ersten käuflichen Puppen via Internet auf den Markt. Anfangs produzierte er eine pro Monat, allein und in der Garage seines Hauses. Doch die Puppe begann rasch ein eigenes Leben: Heute leitet McMullen Abyss Creation, eine Firma, die 300 Puppen pro Jahr anfertigt und in die ganze Welt exportiert.

Eine aufblasbare Sexpuppe kostet kaum mehr als 600 Dollar. Eine Real Doll dagegen nicht weniger als 6.000 (Kosten, die man durch den Erwerb von entsprechendem Zubehör und die Erfüllung „persönlicher Wünsche“ ziemlich schnell verdreifachen kann). Der Kauf, bei dem man von einem Online-Simulator beraten wird, erfolgt sozusagen à la carte. Das Menü offeriert 9 Körpertypen (supermodel, petit, fantasy …) und 14 Gesichter. Man kann Hautfarben, Augenfarben und nicht zuletzt den Typ der Schambehaarung auswählen. Für einen Aufpreis schließen die Puppen ihre Augen, bewegen ihre Finger, tragen Tätowierungen oder werden zusätzlich zwischen den Beinen mit dem ausgestattet, was ihren Bruder „Charlie“, das einzige männliche Superdoll, so begehrenswert machen soll.

Alle Real Dolls sind so groß und so schwer wie eine echte Frau und bieten drei „Eingänge“, von denen der Mundeingang aufgrund seines „Saugeffekts“ hervorzuheben ist: „Wenn du was in einen Silikoneingang steckst“, erklärt McMullen, „entsteht ein Vakuum und eine Saugwirkung, die eine tatsächliche Frau nicht erzeugen kann. Mit geschlossenen Augen fühlt sich die Silikonpuppe noch besser an als the real thing.“ Für die eventuell entstehenden Abfälle liegt jeder Puppe ein Reinigungskit bei. Aufgrund krassierender Geschlechtskrankheiten, so wirbt man, seien die Real Dolls ohnehin eine saubere Sache.

Mehrere Nachahmer haben versucht, vom Run auf McMullens empfindliche Erfindungen zu profitieren, doch die komplizierte Technik und die hohen Produktionskosten ließen die meisten Konkurrenten oder eben deren Sexpuppen frühzeitig aufgeben.

Die CybOrgasMatrix zum Beispiel ist nur als Torso zu haben. Es ist nicht gerade wenig: Immerhin sind die Brüste eine Kopie derer von Pandora Palace, einer bekannten Pornodarstellerin (bekannt für ihre immensen, fast selbstironischen Ballons). Die CybOr trägt Echthaar, ihr elastomerisches Gel soll zudem dehnbarer sein als Silikon (und haltbarer als „die meisten Ehen“). Sie verfügt über ein Klangsystem, das „genau das Stöhnen wiedergibt, das man beim Sex mit Pandora zu hören bekommt.“

Die Avantgarde in Sachen Sexpuppen allerdings kommt wieder aus Deutschland. „Der Creator“ nennt sich der Künstler, Architekt und Flugzeugmechaniker aus Nürnberg. Und er baut Andy, „den ersten Androiden der Welt“. Für ihn sind alle anderen Puppen „synthetische Leichen“ (Puppenmacher greifen sich generell gegenseitig mit der Grausamkeit und der Leidenschaft von Liebhabern an, die um die ein und dieselbe Frau werben). Andy – „aus medizinischem Silikon angefertigt, denn andere Silikonsorten sind giftig“ – kann weit mehr als alle anderen: Sie lächelt und blinzelt per Fernbedienung, uriniert, gibt Milch, besitzt ein Jungfernhäutchen (mit Ersatz) und einen G-Punkt („Aufbäumen des Rückens“ bei Berührung), hat automatische „Lubrikation“ und bekommt alle 28 Tage ihre Periode, bewegt die Hüften, praktiziert Blowjobs, man kann ihren Puls an den Händen und am Hals spüren. Und mehr: Andy kann sehen (durch Minikameras zeichnet sie alles auf, kann Entfernungen messen, Leute erkennen und sie sogar mit den Augen verfolgen); Andy kann hören (die Mikrofone in ihren Ohren können ein bis zu 30-minütiges „Gespräch“ aufnehmen); Andy kann atmen (durch Nase oder – Option „Raucherin“ – durch Nase und Mund); und Andys Körper wird heiß (außer, Gipfel des Realismus, an den Füßen). Das männliche Modell Nax – „geboren am 18. Oktober 2002“ –, bekommt automatisch Erektionen und ejakuliert.

Das Drumherum ist naturgemäß fast so wichtig wie die Sache selbst. McMullen bietet Einzeltitten zum Massieren, Leuchtpenisse, T-Shirts und Mützen („People doing People“, das aufgedruckte Motto). Außerdem verkauft er Pornofilme nur mit Puppen als Darsteller – ein neues Genre, das schon über seine eigenen Webseiten verfügt. Für weniger wohlhabende Kunden oder für diejenigen, die Amputationen, respektive Amputierte, als anregend erfahren (Acrotomophilie lautet der klinische Name dieser Perversion), werden auch Körperteile wie Hüften oder Torsi angeboten. Mehrere Foren versammeln im Internet die Silikonanhänger. In Japan wird bereits eine Zeitschrift veröffentlicht (I-Doloid), die sich ausschließlich den Real Dolls widmet.

Außer für gute Geschäfte in der Erotikbranche sollen die Puppen auch bei Sexualtherapien einsetzbar sein. Außerdem werden sie mit wachsender Aufmerksamkeit von der Roboterindustrie beäugt. In dieser Richtung arbeitet gerade „Der Creator“, der sich als Wegweiser des zukünftigen Sex versteht und zugibt, „Gott zu spielen“ mache ihm Spaß. „In Kürze werde ich einen Androiden vorstellen, der laufen kann“, sagte er im Gespräch mit der taz. „Mein Ziel ist die Herstellung eines Androiden, der sich nicht mehr vom Menschen unterscheiden lässt.“ Zwischen ihm und seinem Traum des eigenen Homunkulus – so alt wie die Menschheit selbst und irgendwie doch so unmenschlich – klafft eine finanzielle Lücke, die ein ernsthaftes Problem für uns alle sein könnte: „50 Prozent der Leute, die meine Webseite besuchen, sind Militärs. Sie sind an meiner Arbeit sehr interessiert. Und haben das Geld, das der Erotikbranche fehlt.“

Würde Creator seine Seele dem Teufel verkaufen, um seine eigene Borghild zu kreieren? „Im Prinzip nicht, nein. Ich würde lieber für die Japaner arbeiten. Oder für die Araber. Doch der Koran verbietet den Sex mit ‚fremdartigen Wesen‘.“