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Archiv-Artikel

„Es scheißt sich niemand nix“

ANARCHISCHES KABARETT Georg Ringsgwandl ist ausgebildeter Kardiologe, steht gern grell geschminkt als Musiker auf der Bühne – und nimmt nun in seinem ersten Buch „Das Leben und Schlimmeres“ Deutschland den Puls. Jetzt kommt er in den Norden auf Tournee

„Jede Generation macht ihren eigenen Scheiß“

INTERVIEW ANDREAS SCHNELL

taz: Man liest über Sie immer Vergleiche mit Karl Valentin und Helmut Qualtinger, garniert mit dem Etikett Punk. Nervt das eigentlich inzwischen?

Georg Ringsgwandl: Als Betroffener denke ich, dass man gut beraten ist, wenn man das überhaupt nicht kommentiert. Der eine geht auf die Bühne und macht was, der andere sitzt im Saal, analysiert es und berichtet darüber. Dafür benutzt er bestimmte Metaphern. Und da kann man als Künstler nur hoffen, dass man einigermaßen gut wegkommt. Und wenn man mit Valentin oder Qualtinger verglichen wird, wäre man verrückt, wenn man sich dagegen wehren würde. Man sollte nur drauf achten, dass man nicht meint, man wäre in der gleichen Liga.

Können Sie sich in der Punk-Zuschreibung wiederfinden?

Ich habe mich nie programmatisch als Punk gesehen, aber die Methode, mit der wir damals gearbeitet haben, war Punk. Keiner von uns hatte Ahnung, wie man Musik macht. Wir wussten ungefähr, was wir spielen wollten, aber ich war damals – und bin immer noch – ein katastrophaler Gitarrist. Wir haben einfach einen Mordsalarm gemacht und eine gewisse Energie, einen gewissen Ausdruck erreicht – aber wir waren als Musiker eine Katastrophe. Es ging einfach darum, dass eine bestimmte Mitteilung im Raum steht, und dafür haben wir mit allen unfairen Mitteln gearbeitet. Das war Punk. Von der Verkleidung über die Schminke bis zu unserem Umgang mit Instrumenten und Musik. Auf Deutsch gesagt: Es scheißt sich niemand nix. Also: Scheiß drauf, hau einfach drauf, dass die Fetzen fliegen.

Wie viel ist davon heute noch da, wenn Sie auf die Bühne gehen?

Die meisten Sachen, die ich damals geschrieben hab, spiele ich heute noch. Ein paar Songs spiele ich nicht mehr, weil sie zu vordergründig waren oder weil man merkt, 20 Jahre später kann man die niemandem mehr guten Gewissens vorspielen. Manche Sachen spiele ich anders, weil sich die Zeit geändert hat. Wir leben nicht mehr Anfang der 80er Jahre, wo zum ersten Mal die ganze Gesellschaft hemmungslos in Konsum ausgebrochen ist, mit allem Drum und Dran. Mit den irrsten Plastikklamotten und dem aufgedrehtesten grellsten Zeug, das man sich vorstellen kann. Wenn ich grell geschminkt im Müllsack mit einem aufgeschnittenen Fußball auf dem Kopf und Taucherbrille auf die Bühne gegangen bin, war das natürlich die extreme Überdrehung dessen, was damals in der Gesellschaft passierte.

In Ihrem neuen Buch „Das Leben und Schlimmeres“ finden sich immer wieder Seitenhiebe gegen ein Milieu, das sich Solar-Panele aufs Dach baut oder Blockheizkraftwerke. Punk hat sich damals auch gegen ein politisch korrektes Milieu gerichtet, gegen Friedensbwegte und so weiter.

Ja, das ist meine Generation, die diese Segnungen über die Menschheit gebracht hat. Mit dem Gefühl, sie hätte etwas ganz besonders Gutes getan und sei besser als die ihrer Väter. Jede Generation macht ihren eigenen Scheiß. Wir können für uns beanspruchen, dass wir nicht nach Russland marschiert sind. Immerhin. Es hat uns allerdings auch keiner gefragt und wir hätten’s auch nicht geschafft, aber Gott sei Dank. Wir haben aber ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil wir glauben, wir stoßen zu viel CO2 aus. Der Rechtschaffenheitsfimmel, unter dem diese Generation leidet, ist höchst lächerlich. Es steht uns gut an wahrzunehmen, dass wir nur deswegen keine Kriegsverbrechen begangen haben, weil wir in einer anderen Situation in einer anderen Zeit leben. Wir sind nicht deswegen bessere Menschen, weil wir Studienräte, Richter, Ärzte, Architekten oder Kulturreferenten einer Kleinstadt geworden sind. Wenn ich mir anschaue, was für miese Karrieristen meine Generation hervorgebracht hat, dann können die mit den Niederträchtigkeiten der Generation meines Vaters locker mithalten.

Sie klingen pessimistisch …

Überhaupt nicht. Ich glaube an die Zukunft des Menschen. Ich glaube weder, dass die Euro-Krise besonders furchtbar ist, noch glaube ich an sonstige Niedergangsgeschichten. Ich glaube aber auch nicht, dass ein Lebenszeitbeamter im Harz die Welt rettet, indem er statt des alten Polo den neuen fährt, der weniger Benzin braucht. Das beruhigt den Lebenszeitbeamten im Harz, aber sonst nichts.

Was also tun?

Ich find schon gut, dass der beruhigt ist. Es sollten möglichst viele Leute beruhigt sein. Der Mensch beruhigt sich halt gern sein Gewissen. Aber wir sollten einfach ins Abendgebet einschließen, dass die eigentlichen Probleme die sind, die wir gern ausblenden. Wir wollen nicht wissen, was in Afrika passiert, welche Grausamkeiten in der arabischen Welt, in Indien, in China passieren oder in Russland. Wir denken nicht daran. Wir sind nicht Schuld dran und wir können’s auch nicht ändern, aber wir sollten es einfach zur Kenntnis nehmen, dass das Puzzeln mit einem Windrad auf dem Dach oder der Einkauf im Dritte-Welt-Laden nichts an den Grausamkeiten auf der Welt ändert.

■ Bremen: Mi, 18. 1., 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz, Goetheplatz 1 – 3; Oldenburg: Do, 19. 1., 20 Uhr, Kulturetage, Bahnhofstr. 11; Bremerhaven: Fr, 20. 1., 20 Uhr, Theater im Fischereihafen, Am Schaufenster 6; Hannover: Sa, 21. 1., 20 Uhr, Pavillon, Lister Meile 4; Einbeck-Sülbeck: So., 22. 1., 20 Uhr, Esel, Deichstraße 11; Hamburg: Do, 26. 1., 20 Uhr, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29 – 30